Als Kaffeeholer zum Film

■ Gute Geschichten erzählen ist besser, als Special Effects perfekt zu beherrschen: Das Studentenfilmfestival „SehSüchte“ in Potsdam

Warum und zu welchem Ende studieren wir Film? Nicht nur Tom Tykwer hat bewiesen, daß es auch ohne Hochschulausbildung funktioniert, und das bringt die versammelte Studentenschaft ins Grübeln. Volker Schlöndorff ist da leider auch keine Hilfe für die Studenten, im Gegenteil: Die „obszönen Mengen an Geld“, die in Filmhochschulen gepumpt werden, beklagt er ebenso wie den mangelnden Output an Talenten, der beweise, daß sich das Filmemachen eben nicht lernen lasse. Im übrigen möge man die Schule nur schnell verlassen. Er zum Beispiel kam als Kaffeeholer zum Film. Sönke Wortmann hingegen sieht es anders: „Ohne die Schule wäre ich nichts!“ Was der Film ohne Wortmann oder auch Schlöndorff wäre, wagt zum Glück keiner zu fragen.

Eine Diskussion im Beiprogramm der Studentenfilmtage der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, deren gemeinsamer Nenner das verläßlichste Kriterium für alle 136 Filmbeiträge lieferte: Der verzweifelte Drang, Geschichten erzählen zu wollen, macht den guten Regisseur aus, alles Wissen um Special Effects und Digital Producing kann den miesen Plot nicht retten. Daß dies offenbar keine Selbstverständlichkeit ist, zeigten allein die Filme des Festivals: Da glänzt etwa ein Film wie „Scarmour“ mit 40 Minuten praller Action, gleich zwei Thalbachs und einem kinolangen Abspann, der Sponsoren von der Deutschen Bank bis McDonald's auflistet.

Erzählt wird eine mystisch verkitschte Schauergeschichte von der Liebe, die nie stirbt. Eine Visitenkarte für den nächsten Sat.1-Filmfilm. Dem gegenüber der mit knackigen Dialogen gefüllte „Kleine Freiheit“ von Michael Baumann, der zwei gute Schauspieler, einen Lkw und einen schönen Drehtag im Sommer benötigte, um uns im wahren Geist der Rebellion die Freuden der Arbeitsverweigerung zu preisen. Statt der versprochenen Prämie hinterherzurasen, finden zwei ungleiche Möbelpacker Ruhe und Frieden am Baggerloch.

Sich auf dem grünen Rasen vor dem Studiokino Babelsberg lümmelnd oder im allabendlichen Filmemacherforum das Wort ergreifend, verdichteten manche Berliner Studenten solche ästhetischen Differenzen zu der These vom Nord-Süd-Gefälle zwischen den fünf deutschen Filmhochschulen. Professionalität und Marktorientierung gingen in Ludwigsburg und München vor Experimentierfreude und sozialer Einmischung.

Tatsächlich bieten Roland Emmerichs Schützlinge Belege für solche Verallgemeinerungen, doch auch die so erfolgreiche wie gern geschmähte Filmakademie Ludwigsburg steuerte einige Überraschungen bei, so daß man es bei der zarten Andeutung einer gesunden Rivalität beließ. Als Beispiel sei „Sind Sie Luigi?“ von Stephan Brüggenthies genannt, dessen Titel die Frage formuliert, die den völlig verdutzten Claus Theo Gärtner bis an sein Lebensende verfolgen wird: „Seh' ich vielleicht aus wie 'n Luigi?“

Viele solcher Kurzfilme, die den Großteil des Programms ausmachten, orientierten sich denn auch eher am Schema des gespielten Witzes. Das heißt, sie lockerten das Festival ungeheuer auf, wenn mal wieder ein düsterer Dokumentarfilm tonnenschwer auf den Seelen der Zuschauer lastete. Denselben Zweck erfüllte Malika Ziouechs „Alle für Arbeit“, ein buntes Trash-Musical mit Sophie Rois als unglücklicher Arbeitslosen im Brutalliberalismus. Was uns heute albern erscheint, nämlich sich seinen Arbeitsplatz mit Geiselnahme zu erzwingen, kann morgen schon Realität sein! Und das Erfolgskonzept von heute ist der kalte Kaffee von morgen.

Auch darin war sich Kaffeeholer Schlöndorff mit dem studierten Wortmann und X-Filmer Stefan Arndt einig. Nur das Unkonventionelle könne den Markt bedienen. Das klingt zuckersüß, aber wenn ein Studentenfilmfestival immerhin ein wenig Aufschluß darüber gibt, was die Jungfilmer mit ein paar Millionen anstellen würden, muß einem vor der Zukunft nicht allzu bange sein. Viele schöne, auch aufregende Filme waren zu sehen, und auch der Blick über die Grenzen hat sich gelohnt. Sympathischerweise ging nämlich ein gut Teil des satten Viertelmillionenbudgets für die Anreise ausländischer Teilnehmer drauf, mit denen dann auch rege diskutiert wurde.

Wohlan: Das mit 50.000 Mark dotierte Preisschießen entschied Ludwigsburg mit drei zu zwei gegen die Potsdamer HFF, doch die Züricher Kunsthochschule holte sich den ersten Spielfilmpreis gleich zweimal ab. Andrea Stakas „Hotel Belgrad“, eine kluge und aktuelle Geschichte von Migration und Exil, teilte sich 10.000 Mark mit „Diebe Vol.1–3“ von Anna Luif. Den zweiten Platz errang Aysin Eralpç' „Baden gehen“ von der HFF, und Eralpç bekam für „Kleingeld“ von Marc-Andreas Borchert auch den Produzentenpreis. Und Wolfgang Joops publicityträchtig erst bei der Eröffnungsgala gestifteter „Wunderkind-Preis“ nimmt Wunderkind Jaak Kilmi für „Külla Tuli“ mit nach Estland. Philipp Bühler