■ Keine Lust mehr auf das eigene Gesicht? Kein Problem für
: Die Körpertauscher

Ein heruntergekommener Hinterhof ist am vornehmen Genfer See keine gewöhnliche Geschäftsadresse. Doch für eine exklusive Dienstleistung, die größtmögliche Diskretion erfordert, gibt es keine bessere Tarnung. Vor einem Jahr hat der französische Maskenbildner Thierry Léon hier die Agentur VisageChange gegründet. „Ich fertige für mich eine perfekte Latexmaske Ihres Kopfes an, inklusive flexibler Mimik, und garantiere: Ihre Frau bemerkt keinen Unterschied!“ Inspiriert von John Woos Film „FACE/OFF – Im Körper des Feindes“, der 1997 in den Kinos lief, können Menschen bei VisageChange komplett in die Haut des anderen schlüpfen.

Der 37jährige Thierry konturiert gerade die Gesichtszüge eines Glatzkopfes, der auf seinem Ateliertisch steht. Die Maske starrt mich an wie bei Madame Tussaud's, nur daß diese hier noch einmal zum Leben erwachen wird. „Auch die Körperformen lassen sich beliebig modellieren“, erklärt der begnadete Visagist. Eine dünne Frau kann durchaus den Platz einer dicken einnehmen, Probleme gibt es nur bei der Größe. „Bis 10 Zentimeter Unterschied gleichen wir mit dezenten Absätzen aus, doch darüber wirkt der Gang schnell auffällig“, bedauert Thierrys Geschäftspartnerin, die die gutbetuchte Kundschaft akquiriert – unter 10.000 Mark ist der Service nicht zu haben –, ihren adligen Namen aber nicht gedruckt sehen möchte. Nennen wir sie also Patrizia. „Neben der High-Tech-Latexmaske wird die Verwandlung wegen des in einem Mikrochip untergebrachten Sprachmodulators sehr kostspielig“, erläutert Patrizia, und Thierry ergänzt: „Das ist höchster State-of-the-Art. Wir klemmen den Chip an die Stimmbänder, und ein Computer überprüft die Stimmlage online!“

Völlig konträre Charaktere kommen dank VisageChange in den Genuß, ein Alter ego anzunehmen und ins Leben ihres besten Freundes oder ärgsten Feindes einzutauchen. In „FACE/OFF“ spielt Nicolas Cage den Terroristen Castor Troy und John Travolta den FBI-Fahnder Sean Archer, der sich Troys Gesicht implantieren läßt, um an Informationen über ein Giftgasattentat zu gelangen. „Bei uns ist das weniger dramatisch und mittlerweile zu einem großen Spaß auf Jet-Set-Partys geworden. Aber manche Kunden steigen im Allmachtsrausch der Maske – genau wie Castor Troy – sofort mit dem Gatten oder der Gattin ihres Körpertauschers in die Kiste.“ Patrizia justiert ihre breite Haarspange. „Und der oder die Verführte erlebt dann oftmals ein blaues Wunder!“ Sehr beliebt sei es auch, im geborgten Lebend-Outfit am Arbeitsplatz zu randalieren und Kollegen zu beleidigen oder bei öffentlichen Veranstaltungen nackt auf dem Tisch zu tanzen. „Unser Service ist nicht nur für Intrigen da“, meldet sich Thierry zu Wort. „Er hat auch eine moralische Dimension: Gutaussehende Menschen merken, wie schlecht häßliche behandelt werden; und zerstrittene Freunde versöhnen sich, wenn sie zwei Tage lang in der Haut des anderen gelebt haben!“ Um beim Gesichtswechsel jedoch „langfristigen Kapitalverbrechen vorzubeugen, lösen sich die Masken im zivilen Normalfall nach 48 Stunden auf“, wie es in der Infobroschüre heißt.

Und was ist ein Ausnahmefall? „Als Trapattoni seine berühmte Rede gehalten hat, wer steckte da schon lange in seiner Hülle?“ fragt Thierry so, als wüßte jeder die Antwort. Was, doch nicht etwa der Kaiser? Beide nicken. Das ist ja allerhand, aber über Klienten aus der Politik ist dem Team von VisageChange leider kein Wort zu entlocken. „Sie wissen, daß Mick Jagger dieses brasilianische Model geschwängert hat?“ Thierry erhebt Einspruch, kann die Enthüllung seiner gesprächigen Partnerin aber nicht mehr stoppen. „Das war in Wirklichkeit nur ein schlechter Scherz von Keith Richards!“ Christian Kortmann