Honecker mit Spiegeleiaura

Wissenschaft im Clubstyle: Das Berliner Künstlerpaar Nina Fischer & Maroan el Sani stellt seine Medienrecherchen und Projekte im Dresdner Kunst Haus aus  ■ Von Jenni Zylka

Der Ausstellungsmacher ist nervös. Um 20 Uhr sollte der Vortrag starten, kurz nach acht verlaufen sich die wenigen Besucher noch immer im zweistöckigen „Kunst Haus“ von Dresden. Aber als Nina Fischer und Maroan El Sani ankündigen, jetzt ihre Arbeit „Be Supernatural“ mit dem dazugehörigen Video vorzustellen, hat sich der Raum doch gefüllt.

Der Film beginnt mit einer fiktiven Biographie der Künstler: Sie hätten schon früh telekinetische Kräfte entwickelt, behauptet eine englische Erzählerstimme, dazu grobkörnige Schwarzweißaufnahmen aus der paranormalen Kindheit der beiden „Medien“. Man erfährt, wie sie sich kennenlernten und das Projekt „Be Supernatural“, in dem es um „brain-balancing“ geht, geschaffen wurde, samt Kopf-Balancier-Anleitung. Am Schluß des Videos stehen Nina und Maroan wie zwei dünne, freundliche Eso-Götzen vor einem Naturvideo-Hintergrund und wakkeln mit ihren Köpfen langsam zum Rythmus des „Be Supernatural“-Discosongs hin und her.

Das Publikum ist perplex – war das ernst gemeint? Dann startet das Paar seine Diashow über offensichtlich begeisterte Brain-balance-Jünger bei einer Auslandstour. „Wir haben das als Reaktion auf den Telefon- und Kommunikationsboom im Jahr 1995 gemacht“, erzählt Nina, und Maroan ergänzt: „Wir wollten das Ganze ironisch angehen und haben uns gewundert, daß es die Leute in manchen Ländern sogar ernst nehmen.“ Die Ironie und Leichtigkeit, mit der Fischer und El Sani im Medium Kunst mit den Medien umgehen, zieht sich durch die meisten ihrer gemeinsamen Werke, das wird im Laufe des Abends auch den Dresdner Ausstellungsbesuchern klar. Natürlich haben sie sich nicht als paranormale Löffelbieger kennengelernt, sondern durch Zufall in Berlin. Die gebürtige Emdenerin Fischer studierte an der Hochschule der Künste, der Duisburger El Sani war ebenfalls Student und beschäftigte sich mit Film, als die beiden 1990 aufeinandertrafen. Seitdem sind sie Künstlerkollegen und Liebesleute. „Eigentlich haben wir sofort angefangen, zu arbeiten“, erinnert sich Fischer, „erst hatten wir noch eigene Projekte, aber wir haben schnell gemerkt, wie praktisch das ist, wenn man gleich morgens, beim Frühstück darüber reden kann, was einen gerade bewegt.“

Ihre erste gemeinsame Installation „Neue Produkte aus der Chaosforschung“ von 1993 nahm ein aktuelles Thema auf – Digitalbilder zum Beweis der „Chaostheorie“ – und reflektierte es im Medium TV/Video: Fernseher, auf denen digitale Werbevideos für Produkte aus dem Supermarkt liefen – auf leeren Regalen. Durch den Kauf dieser Produkte sollte der Kunde das Chaos besiegen.

„Wir haben immer mit Ready-mades gearbeitet“, sagt El Sani. „Statt komplett Neues zu entwerfen, wollten wir lieber schon Vorhandenes in einen völlig neuen Zusammenhang setzen und ihm dadurch eine andere Bedeutung und Funktion geben.“ Bei dem Projekt „Talk with tomorrow“ von 1994 haben Fischer und El Sani „Beweise“ für paranormale Phänomene gesammelt und ausgestellt, dazu eine Internetseite errichtet. 1995 folgte „Aura Research“, wieder ein Projekt zwischen wissenschaftlicher Forschung und Scharlatanerie. Fischer und El Sani haben mit einer vom Forscherpaar Kirlian in den 30er Jahren entwickelten Kamera versucht, die „Aura“ eines Menschen sichtbar zu machen. Sie fotografierten zuerst mit einem Fotoapparat, dann mit dem Kirlian-Gerät private und öffentliche Räume, in denen aus verschiedenen Gründen (etwa der Tod oder das Verschwinden ehemaliger Bewohner) deren spirituelle Energie gespeichert sein sollte.

Die Ergebnisse zeigen sehr unterschiedliche „Energiemuster“, wenn es denn welche sind: Im ehemaligen Büro Erich Honeckers prangt ein roter, spiegeleiartiger Fleck dort, wo Honeckers Schreibtisch stand, auf dem Bild eines Hauses, das von seinen Besitzern für die verstorbene Tochter ausgebaut worden war, scheint die Aura ein diffuser, weißgelber Schatten zu sein.

Auch das Projekt „Phantomclubs“ beschäftigt sich mit dem Sichtbarmachen des Unsichtbaren: ein berlinspezifisches Phänomen sind die Clubs, die nach dem Mauerfall in leerstehenden Gebäuden im ehemaligen Ostteil der Stadt entstanden. Fischer und El Sani zeigen Fotos der Clubeingänge, bei Tage fotografiert – nun sind die Clubs verschwunden. Wo man gestern noch Party machte, ist am Tag nichts zu erkennen, die Clubs sind wie Phantome, nachts existent und tags unsichtbar.

Die Verbindung von Zeitgeist-Phänomenen wie Clubs in Abrißhäusern, moderne Kommunikationsmittel oder das verbreitete Interesse an esoterisch-spirituellen Themen mit einer ironischen Darreichungsform, die sich über verschiedene Medien erstreckt, etablierte das wissenschaftsneugierige Künstlerduo in der internationalen Kunstszene. Mehrere Stipendien und Preise ermöglichen den Anfang 30jährigen seit kurzer Zeit noch stärker die Konzentration auf Ideen: Das neueste Projekt „milleniumania“, mit dem Karl-Hofer-Preis 1998 ausgezeichnet, existiert bis jetzt nur als Videosimulation. Darin beschäftigen sich die beiden mit – dem Einfangen und Sichtbarmachen von Zeit. 24 Kameras verteilt an 24 verschiedenen Zeitzonen der Erde sollen die Schrittgeschwindigkeit von Fußgängern aufnehmen und per Internet live auf eine begehbare Trommel-Leinwand werfen. So entsteht quasi ein Wettlauf der Regionen: wer kommt als erstes im neuen Jahrtausend an?

In Dresden wird nach der Präsentation des Zeit-Experiments auf Video noch diskutiert. „Aber Zeit ist eine relative Größe und so nicht meßbar“, wirft eine Zuschauerin nachdrücklich ein. Stimmt. Aber auch ein anderer Künstler, Wilhelm Busch, hat schließlich gesagt: Einszweidrei, im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit.

Nina Fischer & Maroan el Sani: Tsunami and other secrets, bis 30. 5., Kunst Haus Dresden

Natürlich haben sie sich nicht als paranormale Löffelbieger kennengelernt, sondern per Zufall in Berlin