Neue Jobs zwischen Markt und Staat

■ Mit gemeinnütziger Ökonomie gegen die Arbeitslosigkeit? Ein internationales Forschungsprojekt untersucht den „3. Sektor“

Berlin (taz) – Deutschland hat Nachholbedarf. Etwa 4,9 Prozent aller bundesdeutschen Beschäftigten arbeiten im 3. Sektor: Das sind rund 1,4 Millionen Vollzeitstellen. In den Niederlanden dagegen bietet der Bereich immerhin 12,4 Prozent der Arbeitenden ein Auskommen. Auch Irland, Belgien und Australien liegen über dem deutschen Anteil. Eine Lösung für das Problem der hiesigen Massenarbeitslosigkeit?

Der 3. Sektor: ein weitgehend unbekannter Begriff für ein altbekanntes Phänomen, das freilich in letzter Zeit mit allen möglichen neuen Hoffnungen aufgeladen wird. Hierzulande kann der Kinderladen als typisches Beispiel für diesen Wirtschaftsbereich zwischen Markt und Staat gelten. Kommunen finanzieren die selbstorganisierten Initiativen, weil sie billiger sind als staatliche Kindergärten. Andererseits verkaufen die Kinderläden ihre Leistungen zu Marktbedingungen, indem sie Gebühren von den Eltern erheben. Die im weitesten Sinne gemeinnützige, öffentlich-private Mischökonomie umfaßt ein breites Spektrum: von den alten Organisationen wie Caritas und Paritätischem Wohlfahrtsverband bis zu den modernen „sozialen Betrieben“, die Arbeitslosen eine teilweise staatlich finanzierte Existenzgründung ermöglichen.

Ende vergangener Woche referierte das internationale John-Hopkins-Projekt – benannt nach der Universität in Baltimore (USA) – bei einer Tagung im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) die Ergebnisse seines riesigen Forschungsvorhabens, an dem sich weltweit rund 1.000 WissenschaftlerInnen beteiligen. Ihr Ziel ist es, den 3. Sektor als chancenreichen Wirtschaftsbereich zu definieren, der einerseits einen Ausweg aus der Krise der überbürokratisierten und demzufolge zu teuren staatlichen Dienstleistungen biete und andererseits eine sanfte, zivile Alternative zur herkömmlichen Profitwirtschaft darstelle. Ein entscheidendes Merkmal des 3. Sektors im Sinne der John-Hopkins-Forscher ist, daß das primäre Interesse des jeweiligen Betriebes darin besteht, „Gutes zu tun“, nicht aber die Taschen seiner EigentümerInnen zu füllen.

Die Hopkins-Leute gehen so weit, die gemeinnützige Wirtschaft als „große Jobmaschine“ zu bezeichnen. In vielen der untersuchten 22 Staaten – im wesentlichen Europa, Nord- und Südamerika, Australien und Japan – wächst der 3. Sektor nämlich weitaus schneller als die restliche Wirtschaft und stellt Jahr für Jahr auch überdurchschnittlich viele neue Jobs bereit. „Ein sehr dynamischer Bereich“, sagte Projektleiter Lester Salomon. Diese Analyse treffe auch auf Deutschland zu, meinte WZB-Forscher Eckhard Priller, verantwortlich für die hiesige Hopkins-Sektion. Die Non-Profit-Szene schaffe in Mitteleuropa erheblich mehr neue Stellen, als die Reduzierung der Staatstätigkeit auf der anderen Seite koste. Der Schwerpunkt liegt dabei nach wie vor im Gesundheitswesen und bei den sozialen Diensten wie Altenpflege, Haushaltshilfe und Bildungsarbeit.

Doch der 3. Sektor bleibt weit hinter dem zurück, was er leisten könnte. Er muß dahinter zurückbleiben, denn „er ist in Deutschland in den Strukturen des 19. Jahrhunderts gefangen“, urteilte Helmut Anheier, Dozent an der London School of Economics und Nummer zwei im Gesamtprojekt. Aus einem eher wirtschaftsliberalen Blickwinkel kritisieren die angelsächischen ForscherInnen immer wieder, daß der deutsche Staat nach wie ganze Bereiche wie die universitäre Ausbildung und das Schulsystem für sich reklamiere. Der niederländische Wissenschaftler Paul Dekker berichtete demgegenüber, daß in seinem Land gerade das ausgeprägte private Schulsystem jede Menge Stellen im „diffusen Bereich“ zwischen Staat und Markt schaffe.

Gleichwohl warnte Annette Zimmer, Professorin der Uni Münster, davor, den 3. Sektor mit Hoffnungen zu überfrachten. „Die Erwartungen im Hinblick auf die Reduzierung der Arbeitslosigkeit sind völlig überzogen“, so Zimmer. Auch wenn die gemeinnützige Ökonomie weiter wachse wie bisher, werde sie auf absehbare Zeit die bestehende Lücke zwischen dem Angebot von Arbeitsplätzen und der größeren Nachfrage nicht annähernd füllen können. Ein heilsamer Hinweis: Nach Lage der Dinge kann der 3. Sektor eine Facette einer neuen Wirtschaftspolitik darstellen, nicht jedoch die Lösung schlechthin bringen. Hannes Koch

Die Non-Profit-Szene schafft in Europa erheblich mehr neue Stellen, als die Reduzierung der Staatstätigkeit kostet