Die CDU räumt dem Nationalstaat Vorrang ein

■ CDU-Chef Schäuble regt in einem Strategiepapier einen europäischen Verfassungsvertrag an und mischt sich in die Personaldebatte um die EU-Kommissariate ein

Bonn (taz) – Der Parteivorsitzende der CDU, Wolfgang Schäuble, hat gestern Spekulationen um die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission mit den Worten zurückgewiesen, die Union beteilige sich an dieser oberflächlichen Debatte nicht. Zugleich hat er diesen Spekulationen aber neue Nahrung gegeben, indem er sich dafür aussprach, daß eine EU-Kommission gebildet werde, „die die großen politischen Gruppierungen berücksichtigt“. Er bezog sich damit auf eine Anregung, die der designierte EU-Präsident Romano Prodi bereits vor einiger Zeit gegeben hat, und die in Deutschland als ein Plädoyer dafür interpretiert wird, daß einer der beiden bislang von Deutschen besetzten Kommissariate von den Konservativen und nicht von den Grünen besetzt wird.

Bei den Grünen war in den vergangenen Wochen die Befürchtungen laut geworden, daß es bereits Absprachen des Bundeskanzlers Schröder gebe, wonach der ehemalige Bundesverkehrsminister Wissmann für diesen Posten vorgesehen sei. Schröder hat am Wochenende versichert, daß die Grünen weiterhin das Vorschlagsrecht hätten.

Auch Schäuble betonte, daß er keine entsprechenden Gespräche mit Schröder geführt habe. Allerdings habe er mit Prodi gesprochen, zu dem er „ein enges und intensives Verhältnis“ pflege. Der Amsterdamer Vertrag, der seit dem 1. Mai in Kraft ist, räumt dem EU-Präsidenten bei der Besetzung der Kommission ein Mitspracherecht ein. Die Grünen wollen die Personalie morgen im Koalitionsausschuß erörtern.

Schäuble äußerte sich zu der Zusammensetzung der Kommission anläßlich der Präsentation eines europapolitischen Strategiepapieres, in dem sich die Union für einen „Verfassungsvertrag“ für die Europäische Union ausspricht. Dieses sei notwendig, so Schäuble, um zu entscheiden, welches Organ auf welcher Ebene zuständig sei, zumal er auch künftig von „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ des Integrationsprozesses ausgehe. Entsprechende Überlegungen hatte die Union bereits in einem ersten Strategiepapier vor vier Jahren geäußert. Seinerzeit war die Achse Deutschland – Frankreich als Kern dieses Prozesses benannt worden. Als „Kern des Kerns“ wurden die beiden Länder auch in dem neuen Papier klassifiziert, mit der Osterweiterung wird die Erwartung verbunden, daß sie einen Rückfall Deutschlands in seine konfliktreiche Mittellage verhindere.

Die Union will Aufgaben, die von der EU wahrgenommen werden, so weit wie möglich in die Staaten rückverlagern. Die Subsidiarität soll Leitgedanke des Verfassungsvertrages werden. Dies sei eine wesentliche Bedingung für die Legitimität und Akzeptanz Europas.

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht das nationalstaatliche Territorialprinzip durch den Markt ausgehöhlt. Die künftige Organisation der EU unterscheide sich von den hergebrachten Formen. Dabei sei die institutionelle Ausgestaltung „durch die Währungsunion präfiguriert“. In dem Papier heißt es, daß die Unfähigkeit der nationalen Politik, die Probleme der Nationen im nationalen Rahmen zu lösen, ein wesentlicher Grund der Identitätskrisen aller europäischen Gesellschaften sei. Indem Europa die nationale Politik stärke, stärke es auch die nationale Identität. Diese Funktion Europas habe die Wirtschafts- und Währungsunion unter Beweis gestellt. Folgerichtig fordert die CDU, daß die Finanzverfassung der EU der Subsidiarität entspreche. Sie begrüßt nationale Kofinanzierungen und Rückführungen der Subventionen und lehnt einen Zentralhaushalt ab.

Zentral sollen nur unabweisbare Gemeinschaftsaufgaben finanziert werden. Schäuble schlägt dafür „langfristig“ die Abschaffung der staatlichen Beiträge zugunsten einer einheitlichen „Europasteuer“ vor. Schäuble betonte, daß es in der Substanz der Vorstellungen keine Differenzen zur CSU gebe. Dieter Rulff

Schäuble schlägt in seinem Papier vor, die staatlichen Beiträge der einzelnen EU-Länder zugunsten einer einheitlichen „Europasteuer“ abzuschaffen