Fetisch, Käfig, Kriegsgerät

Klaustrophopie und Beschleunigung: Auto-Filme im Metropolis  ■ Von Tobias
Nagl

Im Kino erfahren wir die Welt, im Auto er-fahren wir sie. Beide technischen Spektakel – Automobil und Kino – sind nicht nur in etwa gleich alt, sie sind auf jeweils eigene Art Seh-Maschinen, deren überwältigende Wirkung sich einer Dialektik zwischen der Statik des Körpers und der Beschleunigung des Sehens verdankt. Beide haben durch die Motorisierung ihrer Räder und Spulen unsere Wahrnehmung beispiellos freigesetzt, die Sinne mobil gemacht, indem sie das Auge von der körperlichen Schwere des Betrachters lösten.

Denkt man an die Reisenden in John Fords Depressionsdrama The Grapes Of Wrath oder Nicholas Rays The Live By Night, birgt diese Freisetzung eine soziale Utopie, in der das Mobilitätsversprechen des Western und seiner offenen Landschaft vom Sozialen eingeholt wird: der Aufbruch im Roadmovie ist manchmal auch eine Flucht vor dem ökonomischen oder – später – psychischen Elend. Das Roadmovie mit seiner typischen Landschaft und seinen zeichenhaft geronnenen Straßenmarkierungen und Motels ist allerdings ein Ergebnis der Kriegs- und Nachkriegsordnung, in der Amerika von Interstate Highways überzogen wurde. Mit dem Rücksitz des Cadillacs eröffnete sich jugendlicher Sexualität ein neuer Ort des seltsam öffentlich Privaten – aber da stand der Wagen bereits schon still.

Auf seine Faszination für Züge angesprochen, antwortete Hitchcock einmal, es sei die Kombination von Klaustrophie und Bewegung, die ihn interessiere. Stärker noch trifft dies auf Autos zu. Am Umschlagmoment von Beschleunigung in Apathie wird das Auto verstörend selbstbezüglich, zum Käfig oder Fetisch, und von dieser ganz anderen Geschichte der Automobilisierung unsere Sinne, der Sinnlichkeit des Autos selbst, erzählt die Reihe „Car Cocooing“ im Metropolis.

Bereits in Edgar G. Ulmers B-Film-Noir-Klassiker Detour (1948) wird die Straße zum Ort schicksalhalfter Determination und der sexuelle Abenteuerraum des Autoinneren zum masochistischen Gefängnis. Eigentlich wollte der mittellose Barpianist nur zu seiner Verlobten trampen. Da hat er noch nicht wissen können, daß der Autobesitzer, der ihn mitnimmt, beim nächsten Stopp tot ist. Als der Glücksritter aus purer Angst, man könnte ihm nicht glauben, die Identität des Fahrers annimmt, erinnert das noch an die Möglichkeit des Genres, auf der Straße das Selbst hinter sich zu lassen. Doch in der Begegnung mit einer erpresserischen femme fatale mutiert der Wagen in eine Zone männlicher Abhängigkeit.

In J.G. Ballards von David Cronenberg verfilmten Crash wird der Highway zum neuen System der Bedeutung, dessen post-humaner Charakter nicht kulturpessimistisch bejammert, sondern mit Warholscher Emphase als erotischer Möglichkeitsraum einer Cyborg-Sexualität, neuer Mensch-Maschine-Verkettungen, rundherum affirmiert wird. In endlosen Gesprächen über die Unfälle von James Dean und Jayne Mansfield, Analverkehr, Sperma, Prothesen und Autositze wird das Bild einer „wohlwollenden Psychopathologie“ entwickelt, zu der seine Kamera mit pornographischer Detailversessenheit über Narben und verchromte Stoßstangen streicht – anti-humanistische Verschmelzungssehnsüchte, die nur im Tod zu haben sind.

Ungleich trashiger als in den Batailleschen Art-House-Phantasien eines Cronenberg erscheint das Auto als Todesengel in Death Race 2000, einer filmhistorischen Perle aus Roger Cormans B-Fabrik, die wie kaum ein anderer Film als Exempel der Demokratisierung des schlechten Geschmacks in den 70er Jahren herhalten kann – und ein Werk, an das sich wohl weder David Caradine noch Sylvester Stallone gerne erinnert haben. Wie in Rollerball wird das marode Sozialgefüge der Zukunft durch sportliche Gladiatoren-Spiele zusammengehalten – hier in Form des „transcontinental road race“, bei dem Passanten überfahren werden müssen, um zu scoren. Unnötig zu erwähnen, daß Neugeborene und Rentner am meisten Punkte einbringen und die Rennsequenzen künstlich am Schneidetisch beschleunigt wurden.

Ein Rennen steht auch im Zentrum von Monte Hellmans Two-Lane Blackrop. Beeindruckender als der Glamour, für den Warren Oates und die Popstars James Taylor und Dennis Wilson sorgen, ist allerdings das schmelzende Zelluloid am Ende. Auf diese ganz große, noch von keiner Ölkrise gebeutelte Zeit der Autofetischisierung beziehen sich denn auch experimentellere Arbeiten wie Asphalto oder Dragstrip –69, deren Garagenpunk-Ästhetik noch einmal die sexualisierten Bilderwelten zwischen Russ Meyer, Evel Knievel und Pirelli-Kalendern durch den TüV schmuggeln: Asphalt up your ass!, eben.

Eröffnung am Freitag: mit „Crash“ (21.15 Uhr) und „Asphalto“ sowie Schallfolien vom Plattenteller (23 Uhr). Sonnabend: „How To Survive A Broken Heart“ (17 Uhr); „Hot Rods To Hell“ (19 Uhr); „Two-Lane Blacktop“ (21.15 Uhr), Konzert von Steffi Hamburg (23 Uhr, Eintritt frei). bis Ende Mai, Infos unter Tel.: 34 23 53