Lesemarathon statt Kriegskongreß

■ Der wiedervereinigte PEN-Club trifft sich zur ersten gemeinsamen Jahrestagung in Bremen / 50 AutorInnen lesen live / Am Freitag öffentliche Diskussion zum Kosovo

Seit über 40 Tagen bombardiert die NATO Jugoslawien. Und in den deutschen Feuilletons tobt der Streit darüber, ob die Intellektuellen zu viel oder zu unentschieden Stellung beziehen. Rund 150 im „PEN-Club“ organisierten AutorInnen, EssayistInnen und PublizistInnen werden diese Debatte von Donnerstag bis Samstag in Bremen führen. Denn bei der ersten Jahresversammlung des mittlerweile gesamtdeutschen PEN wird auch über den Krieg diskutiert, kündigte die PEN-Geschäftsführerin Ursula Setzer gestern an.

Der Schriftsteller und wegen einer Kanada-Reise verhinderte Erich Loest hatte einen „Kriegskongreß“ von Schriftstellern gefordert. Doch dem wollte sich der PEN unter seinem Vorsitzenden Christoph Hein nicht anschließen. Gleich im Anschluß an die üblichen Rituale einer Jahrestagung ist am Freitag (9.30 Uhr im Rathaus) eine öffentliche Debatte zum Thema Kosovo geplant. Und auch der Verleger Freimut Duve wird seinen schon länger angesetzten Vortrag über die Menschenrechtsarbeit in der OSZE wegen der Ereignisse im Kosovo wohl umschreiben (Samstag, 9.30 Uhr, Rathaus).

Erst zwei Jahre nach seiner Tagung in Bremerhaven trifft sich der größer gewordene Schriftsteller-Club schon wieder im kleinsten Bundesland. Bislang tagte der PEN häufig in Schulen, gab sich zurückhaltend und blieb den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Damit ist jetzt Schluß. Denn die Bremer Tagung soll ein Experiment werden, ein öffentliches literarisches Ereignis. So werden am Donnerstag zwischen 11 und 17.45 Uhr 40 AutorInnen, darunter Sabine Kebir (“Brecht und die Frauen“), Konkret-Autor Otto Köhler oder der iranische Schriftsteller Faraj Sarkuhi, an fünf Veranstaltungsorten lesen – in der Kunsthalle Bremen, dem Theater am Goetheplatz, im Gerhard-Marcks-, dem Wilhelm Wagenfeld Haus und der Villa Ichon.

„Eher die leiseren, die stillen Autoren habe man ausgewählt“, meint Donate Fink, die als Geschäftsführerin der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung das üppige Programm der Lesungen organisiert hat.

Demnach teilen sich jeweils zwei AutorInnen eine Stunde, doch ob und inwiefern sie sich in ihrer Lesung aufeinander beziehen wollen, liege ganz im Ermessen der Einzelnen. Gerade in diesem Mit-, Neben- oder Gegeneinander der einzelnen Texte dürften die „unterschiedlichen Zugangsweisen zur deutschen Wirklichkeit“, so das Motto der Tagung, sichtbar werden. Als besonderer Termin sei der Freitag abend vorgemerkt. Dann nämlich werden gleich drei Bremer Literaturpreisträger gemeinsam auf der Bühne im Schauspielhaus lesen (20 Uhr): Brigitte Oleschinski, Wilhelm Genazino und Peter Rühmkorf.

Und sonst? Neben den vielen Vorlagen, die PEN-Geschäftsführerin Ursula Setzer zum Thema Kosovo-Krieg erwartet, werden die TagungsteilnehmerInnen noch über Verlagsfusionen und Themen des Berufsstandes debattieren. Ob die von PEN-Chef Christoph Hein bekräftigte Selbstverpflichtung des Clubs zum Einsatz für verfolgte und bedrohte Kollegen konkrete Folgen hat, wird sich am Ende der Tagung am Samstag zeigen. Liane Aiwanger