Integration ohne Alternative

■  Der 47jährige Ulrich Thöne ist neuer Vorsitzender der GEW. Er will die Diskussion um das neue Schulgesetz, Expreßabiturklassen und grundständige Gymnasien auf eine sachliche Ebene bringen

taz: Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger Erhard Laube?

Ulrich Thöne: Nicht anders ist die entscheidende Frage, sondern: Wie geht es weiter? Wir müssen die Diskussion über das Schulgesetz weiterführen, weil es sehr viel Widerspruch gibt. Das Gesetz wird ja in dieser Legislaturperiode voraussichtlich nicht mehr eingebracht. Ergänzt werden muß zum Beispiel die Verbindung von Schule und Jugendhilfe. Wenn man verläßliche Halbtagsschulen haben will, in denen die Kinder betreut werden, müssen die Horteinrichtungen mit einbezogen werden. Konflikte unter Schülern können vermieden werden, wenn Sozialstationen in Schulen eingerichet werden. Dafür braucht man die Jugendhilfe. Auch das muß gesetzlich verankert werden.

Ein Streitpunkt im Schulgesetz ist die zentrale Prüfung nach der 10. Klasse. Sind Sie dafür?

Im Schulgesetz wird nicht näher ausgeführt, wie diese Prüfung aussehen wird. Eine zentrale Abschlußprüfung, auf die der gesamte Unterricht orientiert ist, ist hochproblematisch und stößt innerhalb der GEW auf Ablehnung.

Erhard Laube hat mehr 5. Gymnasialklassen strikt abgelehnt. Sehen Sie das ähnlich?

Ja, weil durch die Einrichtung von mehr grundständigen Zügen an Gymnasien die bildungspolitische Vorstellung genährt wird, Leistungsförderung von Schülerinnen und Schülern sei nur in einheitlichen Gruppen möglich. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist es notwendig, die individuelle Lernentwicklung der Schülern in heterogenen Klassen zu fördern. Die große gesellschaftliche Herausforderung dieser Zeit ist Integration. Gemeinsames Lernen und Leistungsorientierung schließen sich nicht aus, das belegen auch Erfahrungen aus dem europäischen Ausland. Durch vielfältige Differenzierungen in Grund- und Oberschulen kann dies erreicht werden. Vor allem Gymnasien haben hier einen riesigen Nachholbedarf, weil sie nach wie vor auf Auswahl setzen.

Viele Eltern wollen aber Expreßabiturklassen und mehr grundständige Gymnasien. Das zeigen die Anmeldungen für das nächste Schuljahr. Muß die GEW darauf nicht reagieren?

Das ist eine ideologische, emotionale Diskussion, die endlich in rationale Bahnen gelenkt werden sollte. Ich setze dabei auf Aufklärung und viele Diskussionen. Die GEW wird Vorschläge zur Weiterentwicklung der Schulen im Sekundarbereich machen. Dazu gehört auch die Begründung, weshalb Gesamtschulen nach wie vor ein zukunftsweisendes Modell sind.

Das hört sich traditionell und fast konservativ an.

Das sehe ich anders. Konservativ ist eher die Seite, die auf einen einseitigen Leistungsbegriff setzt. Zu den Qualifikationen zukünftiger Schülergenerationen gehört die Fährigkeit des lebenslangen Lernens, höhere Selbständigkeit, soziale Integration und Eigenverantwortung. Es geht also weniger um Strukturfragen als um eine grundsätzliche Veränderung des Lernens in allen Schultypen.

Der GEW wird häufig vorgeworfen, sie beschäftige sich mehr mit dem Wohl ihrer Mitglieder als mit gesellschaftspolitischen Themen.

Wir können bildungspolitische Interessen nur dann vertreten, wenn wir es zusammen mit den Eltern, Schülern, Studenten und Lehrern machen. Wir haben uns diesen Gruppen gegenüber immer geöffnet.

Interview: Julia Naumann