Der Traum vom Leuchtturm

Morgen heiraten in Hamburg die ersten schwullesbischen Paare – unter ihnen Simone Knipp und Ruth Hannemann. Wie es ist, Zeichen setzen zu wollen  ■ Von Holger Wicht

In einem Leuchtturm wohnen – das wär's. Die Ruhe der norddeutschen Küste, Schafe auf der Weide, ein Jagdhund und zwei Dackel – so würden Simone Knipp und Ruth Hannemann eines Tages gerne leben. „Vielleicht als Altersruhesitz“, träumt Simone. Unzählige rotweiße Miniaturen schmücken die Regale, kleine gerahmte Bilder vom Wunschdomizil die Wände.

Die beiden Dackel werden demnächst Einzug halten. Rudi und Ramses sollen sie heißen. Für Jagdhund und Schafe bietet das kleine Reihenhaus im Süden Hamburgs leider nicht genug Platz, doch an der gewünschten Ruhe mangelt es hier nicht. Die Neubausiedlung im Stadtteil Hausbruch wirkt fast wie ein Modell bürgerlicher Idylle: viel Grün, schmale Straßen und Wege, die nach Tieren des Waldes benannt sind, zu jedem Haus gehört eine kleine Gartenparzelle. Kaum ein Laut außer singenden Amseln und tschilpenden Spatzen. Und Trompeten.

Manchmal sind die beiden freundlichen Lesben von nebenan als wohlklingendes Duo zu vernehmen, häufiger jedoch tönt es debütantisch: Die 33jährige Ruth, hanseatisch kühl, aber herzlich, baut sich gerade eine Existenz als freischaffende Musiklehrerin auf. Simone, 29 Jahre, schaffte vor drei Jahren nur eine einzige Gitarrenstunde: Aus der Lehrerin wurde die Liebste. „Dann war's vorbei, dann ging's nicht mehr“, sagt Simone und sieht wenig bedauernd aus. Damals lebten sie in Wuppertal. Ein Jahr später rückten sie ihrem Leuchtturm ein Stückchen näher: Sie kauften ihr Häuschen am Hamburger Stadtrand. Simone arbeitete zunächst in einer Tagesstätte für behinderte Kinder und Jugendliche und studiert heute Sozialpädagogik an einer evangelischen Fachhochschule. Später möchte sie als Diakonin arbeiten.

Auf der bemerkenswert sauberen Mülltonne vor dem Haus leuchtet ein Aukleber in Regenbogenfarben – das Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung. Auf dem Klo mahnt ein Piktogramm männliche Besucher, nicht im Stehen zu pinkeln. Ansonsten weist nichts darauf hin, daß hier keine herkömmliche Familie zu Hause ist und kein junges Pärchen, das sich anschickt, eine zu gründen. „Ich glaube nicht, daß wir uns von den Paaren hier links und rechts unterscheiden“, sagt Ruth.

Bis auf die gelbe Wand im Wohnzimmer vielleicht. Wischtechnik auf weißer Rauhfasertapete. Das sei für die Kinder aus der Nachbarschaft schon eine kleine Sensation gewesen, sagt Simone. Daß hier zwei Frauen miteinander leben wie Mami und Papi ist für die Kinder hingegen schnell eine Selbstverständlichkeit geworden. „Die sind nett!“, hat neulich der elfjährige Sprößling von nebenan empört geantwortet, als Mitschüler auf die „doofen Lesben“ geschimpft haben. Schon zur Einweihung ihres Hauses vor knapp zwei Jahren haben sie selbstverständlich ihre Nachbarinnen und Nachbarn eingeladen, auch Geburtstage werden gemeinsam gefeiert. Morgen nachmittag werden Ruth und Simone erst recht mit den Eltern des progressiven Nachwuchses anstoßen.

Morgen früh um 11 Uhr werden sie im Standesamt des Stadtteils Eimsbüttel die „Hamburger Ehe“ schließen. Wie bei jeder normalen Hochzeit werden Verwandte, Freundinnen und Freunde dabeisein. Und wie sonst nur bei Prominenten-Hochzeiten wird eine Armada Journalisten sich auf die Jagd nach Bildern begeben – bitte recht romantisch und jetzt noch mal schrill! Und wenn vielleicht die Frau Mama noch eine Träne der Rührung für RTL übrig hätte?

Rund 20 Fernsehteams haben sich angekündigt, ebenso die Vizebürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Christa Sager. Schließlich wird erstmals in der Bundesrepublik gleichgeschlechtlicher Zweisamkeit staatlicher Segen zuteil. Voraussichtlich drei oder vier schwule und vier lesbische Paare bekommen zum Auftakt gemeinsam Brief und Siegel auf ihre Verbindung, fortan können Hamburger Lesben und Schwule sich in jedem Standesamt ihrer Stadt zu „Eheleuten“ stempeln lassen. Offiziell heißt das Rechtsinstitut nicht Ehe, sondern Eingetragene Partnerschaft. Pointe am Rande: Wie heterosexuelle Brautpaare müssen heiratswillige Homos eine Ledigkeitsbescheinigung vorlegen, gelten nach der Registrierung jedoch weiterhin als ledig. Immerhin: Die Zeremonie gleicht weitgehend jener, die Heterosexuelle buchen können. Der Preis beträgt in beiden Fällen 60 Mark, zuzüglich der Gebühren für die nötigen Papiere. Dafür hält ein Beamter eine feierliche Ansprache, das junge Eheglück wird in einem Partnerschaftsbuch verzeichnet, und die Frischvermählten dürfen sich eine Urkunde übers Doppelbett hängen.

Das ist aber auch schon alles: Rechtliche Folgen hat die offiziöse Zeremonie nicht. Fast alle Privilegien, die sich Heterosexuelle mit einer Heirat erkaufen können, sind durch Bundesgesetze geregelt: Steuer- und erbrechtliche Benachteiligungen etwa bleiben auch in Hamburg erhalten. Der rot-grüne Senat hat allerdings einige landesrechtliche Verbesserungen angekündigt: Schwule und Lesben sollen demnächst auf unkomplizierte Weise ein Besuchs- und Auskunftsrecht erhalten, wenn der Partner oder die Partnerin im Krankenhaus liegt, Wohnberechtigungsscheine dürfen in Kürze zusammengelegt werden. Doch damit enden die landespolitischen Möglichkeiten; die Hamburger Ehe bleibt zwangsläufig Form ohne Inhalt. Homos spielen Hochzeit und hoffen auf Bonn, wo die Beratungen und Verhandlungen über die Registrierte Partnerschaft ins Stocken geraten sind.

Eben drum wollen Ruth und Simone morgen unbedingt heiraten, obwohl sie rechtlich nicht davon profitieren werden: „Reine Symbolik, reine Kosmetik – aber ein wichtiger erster Schritt.“ Daß sich im allgemeinen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Ehe“ durchgesetzt hat, nehmen die beiden in Kauf, obwohl auf diese Weise mehr draufsteht als drin ist im Gesetz. Sollte die rot-grüne Bundesregierung nach einem gelungenen Hamburger Auftakt ihr Versprechen endlich einlösen, würden sie umgehend noch einmal den Bund fürs Leben schließen.

Die Homo-Bewegung reagiert gespalten: Die eine Fraktion begrüßt den symbolischen Vorstoß in Richtung Gleichstellung, die andere will von diesem romantischen Verwaltungsakt ohne greifbare Verbesserungen nichts wissen. Und viele lehnen auch die angekündigte Ähnlichstellung durch eine Eingetragene Partnerschaft auf Bundesebene ab: Überholte Privilegien wie das Ehegattensplitting, mit dem ungerechtfertigt kontinuierliche Zweisamkeit belohnt werde, gehörten abgeschafft, nicht eingefordert. „Staatskohle nur für Kinder – nicht für Paarung!“ – so deutlich äußerten sich im letzten Jahr die Fraktionsvorsitzenden der Berliner Grünen, Renate Künast und Michaele Schreyer. Und noch ein Argument wird gegen die Homo-Ehe angeführt: Eine Kopie der Hetero-Institution könnte dazu führen, daß verstärkt zwischen guten und bösen Homos unterschieden wird. Auf der einen Seite die Braven, die leben, wie es sich gehört, auf der anderen jene, die sich dem gesellschaftlichen Zugeständnis starrsinnig verweigern und nicht von ihren ungebührlichen Lebensstilen lassen wollen.

Simone Knipp und Ruth Hannemann kennen diese Einwände. Mit ihrer Ehe wollen sie „Akzeptanz für alle schaffen“. Die beiden wollen sich registrieren lassen, um ein Zeichen zu setzen, ein Podium zu gewinnen, von dem aus sie jene Rechte fordern können, die ihnen und anderen vorenthalten werden. Und um den Forderungen von Schwulen und Lesben ihre Gesichter zu leihen: „Ein Gesetz allein wird in den Köpfen der Leute nichts ändern“, sagt Simone.

Gerade Lesben kommen in den Köpfen vieler Leute noch immer nicht vor. „Schwulen-Ehe“ heißt die Hamburger Partnerschaftsregelung in den Überschriften vieler Zeitungen – die Frauen tauchen erst im Kleingedruckten auf. Auch deshalb wollen Simone und Ruth öffentlichkeitswirksam ins Standesamt marschieren.

Ausschließlich politische Gründe haben die beiden zu ihrem Vorhaben bewogen. Sagen sie. Keine Romantik? Nein. „Wir sind schon stolz, zu den ersten zu gehören“, sagt Simone, „aber das ist Politik.“ Allzu viel Festlichkeit wollen sie daher nicht aufkommen lassen: Schlichte Hosenanzüge werden sie tragen – die eine in gedecktem Dunkelblau, in Anthrazit die andere. Danach wollen sie anstoßen mit Verwandten, Freundinnen und Freunden, abends grillen auf ihrer kleinen Gartenterasse – mehr nicht. Ihre Liebe zelebrieren werden sie zu einem anderen Zeitpunkt. Ganz privat und ohne Anlaß. „Wir haben uns entschieden, ein Fest zu feiern – schon lange bevor die Hamburger Ehe beschlossen wurde.“ Eine Hochzeit ohne Heirat – mehr sagen sie nicht. „Das ist privat.“

Privatleben – bei Ruth und Simone soll es so aussehen: „Wir wollen miteinander alt werden, wir wollen füreinander einstehen – uns trägt dieser Glaube, und wir leben mit Gottes Segen.“ Doch ohne Zustimmung der Oberhirten kann es kirchenrechtlich jedoch keine Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare geben: „Es besteht nur die Möglichkeit, daß die Bischöfe begreifen, daß Demokratie mehr wert ist als ihre Auslegung des Kirchenrechts“, sagt Simone. Es klingt verbittert. „Die sollten froh sein, daß es Menschen gibt, die diese Verbindlichkeit wollen“, sagt Ruth.

Sie und ihre angehende Gattin wissen, wovon sie sprechen: Schon lange engagieren sie sich in der ökumenischen Organisation „Homosexuelle und Kirche“ (HuK). „Die HuK will in die Kirche hineinwirken – seit 20 Jahren nach dem Motto: Verändern statt Austreten“, sagt Simone. Mit den „Hukis“, wie sie liebevoll sagen, bereisen sie etwa Kirchentage, zeigen sich als „Menschen wie du und ich zum Anfassen“ und suchen Gespräche. „Wir sind immer froh gewesen, wenn die Menschen nicht nur über uns, sondern auch mit uns geredet haben“, sagt Ruth.

Auch wenn es manchmal anstrengend ist, immer die Lesben vom Dienst zu sein. Im Alltag, in der Kirche und nun auch noch in Presse, Funk und Fernsehen. „Noch warten wir darauf, daß wir über all das mal lächeln können“, sagt Ruth. Über die Ehe, die eigentlich keine ist. Über den Gang zum Standesamt Eimsbüttel, der ein wegweisendes Signal geben soll. Wie der Leuchtturm, in dem sie vielleicht leben werden. Mit dem Segen der Kirche. Mit einem Jagdhund. Mit Schafen. Und den zwei greisen Dackelrüden Rudi und Ramses.

Ein Aufkleber in Regenbogenfarben – ansonsten weist nichts darauf hin, daß hier keine herkömmliche Familie wohnt. Wie sonst nur bei Prominenten-Hochzeiten wird sich eine Armada Journalisten auf die Jagd nach Bildern begeben.