Ein Anschlag auf Korsika hat Folgen in Paris
■ Der Präfekt der Insel wird entlassen und eine Sondereinheit der Polizei aufgelöst
Paris (taz) – Wer lügt? Diese Frage bestimmt seit gestern die französische Debatte über Korsika. Nachdem zuvor drei Gendarmen der Sondereinheit GPS gestanden haben, daß sie im „Auftrag ihrer Vorgesetzen“ ein Strandrestaurant südlich von Ajaccio in Brand gesteckt haben, suchen jetzt Korsen und Kontinentalfranzosen nach den politisch Verantwortlichen der Affäre in der Pariser Regierung. Der bisherige höchste Pariser Repräsentant auf Korsika, Präfekt Bernard Bonnet, wurde amtsenthoben und wartet seit der Durchsuchung seines Amtssitzes in der Nacht zu gestern in Polizeihaft auf sein weiteres Schicksal. In Paris erkannte gestern auch Regierungschef Lionel Jospin, daß die Sache eine „Staatsaffäre“ sei. Unter Buhrufen der Opposition im Parlament bestritt er, daß eine staatliche Stelle den Auftrag zum Zündeln gegeben habe. Zugleich kündigte er eine „harte“ Verfolgung der Verantwortlichen an. Jospin teilte zugleich dem Parlament die Auflösung der erst vor knapp einem Jahr geschaffenen Eliteeinheit GPS mit. Heute schon will der französische Ministerrat den Nachfolger von Bonnet benennen.
Jospin selbst befindet sich an einer unangenehmen Stelle in dem Korsika-Dossier. Denn im vergangenen Jahr, als Innenminister Jean-Pierre Chevenement monatelang im Krankenhaus lag, war er der direkte Ansprechpartner des Präfekten Bonnet. Er deckte dessen Saubermannpolitik auf der Insel, er gab ihm freie Hand bei der Verbrechensverfolgung, und er bewilligte auch die Gründung der Sondereinheit GPS. Noch in der vergangenen Woche, als die Brandstiftung der Gendarmen aufflog, hatte Jospin den Präfekten, der umgehend zum Rapport nach Paris reiste gedeckt, anstatt umgehend seinen Rücktritt zu organisieren. Daß die Verantwortung allein bei dem Präfekten zu suchen ist, halten Politiker sämtlicher Oppositionsparteien für ausgeschlossen.
Der intimste Korsikakenner der konservativen Opposition, Ex-Innenminister Charles Pasqua, verlangte gestern ausdrücklich den Rücktritt der Regierung Jospin. Korsische Autonomisten und Nationalisten, die während der Vornacht triumphierend vor der Präfektur auf Korsika gestanden und von der Straße aus die Durchsuchung des Amtssitzes verfolgt hatten, bliesen in dasselbe Horn wie Pasqua, mit dem einzelne von ihnen vor Jahr und Tag offiziöse Verhandlungsbeziehungen unterhielten. Der Rechtsstaat, so höhnten die nächtlichen Demonstranten vor der Präfektur, ist gescheitert. Gleichzeitig gescheitert, so ein auf diesen Tagen auf Korsika vielfach zu hörender Kommentar, ist die Logik der Kolonialverwaltung, die Frankreich auf der Insel aufrecht erhalten habe. Dorothea Hahn ‚/B‘Kommentar 12
Auch Regierungschef Lionel Jospin hat erkannt, daß die Sache eine „Staatsaffaire“ ist
