Deutschland und der Krieg (Teil 2)
: Eine Bombe ist okay, viele Bomben machen David Bauchschmerzen

■ In der Kulturhauptstadt Weimar lacht im Schlachthaus der Marsmensch über eine Friedensdemonstrantin, acht Kilometer weiter sitzen junge OsteuropäerInnen in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald und debattieren über Lager in Deutschland und Lager in Jugoslawien

Im Kosovo herrscht Krieg, Hunderttausende Kosovo-AlbanerInnen fliehen, die Nato bombardiert Jugoslawien – und wir? Ist der Krieg ein weiterer Film im Fernsehen oder verändert er uns und unseren Alltag? taz-Reporter Volker Weidermann ist in den nächsten Wochen in der rot-grünen Republik unterwegs und berichtet in unregelmäßiger Folge über Deutschland und den Krieg.

Der Marsmensch grinst: Gerade erst haben sie in Magdeburg eine Frau in die Psychiatrie eingeliefert, die zum wiederholten Male auf einer vierspurigen Hauptverkehrskreuzung einsam gegen den Krieg demonstrieren wollte, sagt der Marsmensch und schlägt sich auf die Schenkel. Der Marsmensch heißt David, nennt sich quietschendes Monster und ist ein junger, freundlicher Architekt aus Erfurt, der einen Außerirdischenhelm aus Aluminiumfolie auf dem Kopf trägt. Es ist Mottoparty in Weimars altem Schlachthaus und das Motto lautet: „Zwischen Himmel und Erde“. Gerade haben sie einen toten Koch hereingetragen, dem von einem Kampfhahn das Leben genommen wurde. Ein zarter Engel küßt ihn. Es hilft nichts. Eine Japanerin trällert. Es hilft, und er wacht auf und brät von nun an Truthähne über dem offenen Feuer. Überall brennen Fackeln, ein mystisch gekleideter Herr mit Turban schwingt sich an einem Seil durch den Saal, ein Chor singt gregorianische Gesänge, Feuerwerkskörper explodieren, ein eifriges Team von Hell TV filmt das Ganze. Der nette Marsmensch David erklärt, er habe wegen zu viel Streß vom Beginn des Krieges gar nichts mitbekommen. Jetzt sei er aber dagegen, weil sich die USA wieder als Weltpolizist aufspiele. „Wenn das Ding mit einer Bombe gelaufen gewesen wäre, dann okay, aber so, wie das jetzt abgeht – nee, danke.“

Tagsüber, einige Kilometer oberhalb der Stadt, geht es ernster zu: „Planet Buchenwald“ heißt eine Gruppe von elf jungen Erwachsenen aus ganz Europa, die ein Jahr lang freiwillig in der Gedenkstätte arbeiten – Besucherbetreuung, Dienst im Buchladen, in der Telefonzentrale. „Ach, das ist schon furchtbar“, sagt der 24jährige Denis Ponomarenko (Foto: rechts) aus St. Petersburg und sinkt in sich zusammen: „Wir nennen uns ,Planet‘ und glauben, wir bewirken mit unserer Arbeit eine ganze Menge, und dann passiert heute, hier in Europa etwas Ähnliches wieder. Man fühlt sich sehr hilflos und klein plötzlich.“

Die ganze Gruppe wirkt bedrückt und ratlos, bei der Frage nach dem Krieg. Dessislava Stefanova (Foto: Mitte) kommt aus Bulgarien und ist nach den letzten Bombeneinschlägen in Sofia auch gegenüber der Informationspolitik der Nato mißtrauisch geworden: „Es sind schon vorher vier Bomben in Bulgarien eingeschlagen, von denen hier nichts in den Zeitungen stand. Da kommt man ins Grübeln.“ Nein, für den Krieg ist hier niemand so richtig. Auch weil bis zu Beginn des Krieges eine Serbin unter ihnen war, die in einer jugoslawischen Oppositionspartei engagiert ist und zu Kriegsbeginn nach Belgrad zurückkehrte. „Von ihr bekommen wir ganz andere Informationen. Da ist es schwer, einfach so schwarzweiß zu malen. Ja, Krieg! Nein, kein Krieg! Ich lasse mich auf diese Alternative nicht ein“, sagt Kirsten Snijders (Foto: links) aus Holland.

Andere Mitarbeiter der Gedenkstätte pflichten eher dem Credo Joschka Fischers bei: „Nie wieder Auschwitz“ sei wichtiger als „Nie wieder Krieg.“ Der Direktor der Gedenkstätte, Volkhardt Knigge, hat erst kürzlich bei einer Gedenkveranstaltung mit ehemaligen Häftlingen auf die Parallelen zwischen damals und dem Geschehen heute auf dem Balkan hingewiesen. Wütende Proteste erntete er dafür von Leuten, die in solchen Vergleichen das Schicksal der Ermordeten von Buchenwald relativiert sehen. Auch die Gedenkstättenpädagogin Marlies Graefe hat da so ihre Erfahrungen gemacht. Sie weist bei ihren Führungen durchs Lager stets auf die großen Ähnlichkeiten hin, die ihrer Meinung nach zwischen der Anfangsphase des KZ Buchenwald und den Lagern auf dem Balkan bestehen. Oft erntet sie Murren unter den Besuchern. „Aber ich kann nicht hier gegen das massenhafte Morden in der Vergangenheit reden und nebenan passiert ganz Ähnliches erneut. Das muß mit allen Mitteln verhindert werden. Auch deshalb arbeite ich schließlich hier.“ Volker Weidermann