Frankreichs Präsident setzt auf Rußland

■ In Moskau will Chirac nach Wegen aus dem Krieg suchen. Auch die UNO und die EU sollen ab sofort stärker eingebunden werden

Jacques Chirac ist ein Kriegsgewinnler. Seit Ende März surft der französische Präsident auf einer stetig ansteigenden Popularitätskurve, wie er sie in Friedenszeiten nie erlebt hat. Seit Kriegsbeginn hat der Staatspräsident, zugleich oberster Militärchef des Landes, auch den unterbrochenen direkten Dialog mit seinen Bürgern wieder aufgegriffen. Einmal wöchentlich erklärt er ihnen live am TV-Bildschirm, warum Frankreich den Krieg führt und warum es ihn weiter führen muß. Chiracs jüngste Kriegsansprache, seine fünfte, war Montag abend Punkt 20 Uhr. Zeitgleich erschien er auf den Kanälen 1 bis 3.

Dem Staatschef in Belgrad, der in Chiracs Mund vom „Präsidenten“ über den „Monsieur“ zum einfachen „Miloevic“ wurde, könne man weiterhin nicht trauen, stimmte Chirac seine „chers compatriotes“ auf die Fortsetzung des Krieges ein. Die Vorschläge an die Nato, die Befreiung der drei US-amerikanischen Gefangenen und die Botschaft an Präsident Clinton zeigten keine neue Wendung. Weswegen er, Chirac, „nicht den geringsten Grund“ sehe, „die Strategie zu ändern“. Vielmehr sage er „ganz besonders den jungen Generationen, die den Krieg nicht kennengelernt haben“, daß der Kampf von heute exemplarisch sei. Er basiere „nicht auf wirtschaftlichen oder strategischen Hintergedanken, sondern auf einer Konzeption von Moral und von der Ehre der Nationen“.

Auch wenn er es vorerst beim Fortgang des bewaffneten Kampfes belassen will, hat Chirac in seinen Reden jedoch die diplomatischen Akzente verschoben. Stehend neben zwei auf seiner Körperhöhe gehißten Fahnen – der Trikolore und dem europäischen Sternenbanner – spricht er, je länger der Krieg dauert, um so weniger von dem Präsidenten der USA und um so häufiger von der UNO, von der Europäischen Union und dieses Mal auch von Rußland. Am 13. Mai will Chirac nach Rußland fahren, dessen „aktive Beteiligung am Aufbau eines demokratischen und friedlichen Europas“ er immer gewünscht habe. Zusammen mit Präsident Boris Jelzin werde er nach einer Lösung aus der „Kosovo-Krise“ suchen. Von Clintons Besuch in Brüssel und Deutschland sagte Chirac nichts. Auch die Tatsache, daß Frankreich die hausgemachten Raketen ausgehen und es vermutlich seine Mirage auf US-Raketen umrüsten muß, sprach der Staatspräsident nicht an. Mit seinen europäischen Avancen liegt der Neogaullist wieder einmal auf derselben Linie wie die sozialistischen Regierungsmitglieder. Beide Seiten erklären, daß der Ausbau der europäischen Verteidigung ein zwangsläufiges Ergebnis dieses Krieges sein werde.

Dorothea Hahn, Paris