Kabinett beschließt Albanien-Truppe

■ Bis zu 1.000 Soldaten sollen für die Versorgung von Vertriebenen eingesetzt werden. Bundestag soll am Freitag zustimmen. Doch gibt es auch in der Regierung lauter werdende Kritik am bisherigen Kriegsverlauf

Bonn (taz) – Das Bundeskabinett in Bonn hat gestern einer Entsendung von „bis zu 1.000 weiteren Soldaten“ nach Albanien und Makedonien zugestimmt. Sie sollen nach Angaben der Regierung für humanitäre Aufgaben wie die Einrichtung von Zeltlagern, Evakuierungen oder als Sanitäter im Zusammenhang mit der Versorgung von Flüchtlingen aus dem Kosovo eingesetzt werden. Nach den Beratungen der Fraktionen und der zuständigen Ausschüsse soll die Beschlußvorlage am Freitag vom Bundestag verabschiedet werden. Mit der Zustimmung aller Fraktionen außer der PDS wird gerechnet. Ungeachtet dessen wird aber auch in Bonn die Kritik am Verlauf der Nato-Operation gegen Jugoslawien lauter – selbst innerhalb des Kabinetts.

Aus Regierungskreisen war zu hören, daß sich Umweltminister Jürgen Trittin, Gesundheitsministerin Andrea Fischer (beide Grüne) sowie Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, (beide SPD) in der Kabinettssitzung mit kritischen Anmerkungen zu Wort meldeten. Es sei beklagt worden, daß selbst die Ministerrunde nur unzureichend informiert werde. Außerdem sei die Frage erörtert worden, wie sich die offenbar veränderte Strategie der Nato rechtfertigen lasse, in Jugoslawien nun verstärkt auch zivile Ziele anzugreifen. Der SPD-Fraktionschef Peter Struck habe geäußert, es werde zunehmend schwieriger, seiner Fraktion diese Entwicklung zu erklären. Kerstin Müller und Rezzo Schlauch von Bündnis 90/Die Grünen hätten zum Thema nicht Stellung genommen.

Der Plan, weitere Bundeswehrsoldaten auf den Balkan zu entsenden, hatte vor einigen Wochen bei Abgeordneten verschiedener Parteien die Sorge ausgelöst, dieser Beschluß berge die Möglichkeit der Verwicklung in Kampfhandlungen. Die „Gefahr eines schleichenden Übergangs in den Bodenkrieg“ müsse ausgeschlossen sein, forderte gestern Hans-Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen in diesem Zusammenhang. Seine Parteifreundin Angelika Beer, die zunächst auch Bedenken geäußert hatte, hält diese Gefahr nach der Überarbeitung der ursprünglichen Beschlußempfehlung für ausgeräumt. Vorher bestehende Unklarheiten seien „beseitigt“ worden. Es sei nun eindeutig festgelegt, daß die Soldaten ausschließlich humanitäre Aufgaben hätten und jeder weitergehende Einsatz nur im Rahmen eines Friedensabkommens oder eines UN-Mandats nach neuerlicher Zustimmung des Bundestages in Betracht komme.

Aus Sicht der Unionsparteien sind noch nicht alle Unklarheiten beseitigt. „Jegliche Gefahr eines schleichenden Übergangs in einen Bodenkrieg muß durch präzise Auskünfte der Regierung ausgeräumt werden“, sagte auch der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) gegenüber der taz. CDU und CSU wollen sich heute in den Ausschüssen von Regierungsvertretern offene Fragen beantworten lassen und jeweils im Anschluß daran auf Fraktionssitzungen über das Thema beraten. Die Beschlußvorlage enthält das Recht auf „Nothilfe“ auch gegenüber Streitkräften anderer Nato-Länder. Das kann nach Ansicht einer Reihe von Unionspolitikern zu Problemen führen, falls in der Region stationierte Truppen von Verbündeten in Kämpfe verwickelt werden.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte gestern vor Journalisten, daß im Falle der Zustimmung des Parlaments zunächst maximal 600 Soldaten schnellstmöglich an die Einsatzorte gebracht werden sollen. Sie seien Teil einer internationalen Truppe von 8.000 bis 9.000 Mann, von denen ein großer Teil aus Nicht-Nato- Staaten komme. Laut Beschlußvorlage, die von Scharping und Außenminister Joschka Fischer gemeinsam erarbeitet wurde, können sowohl Einheiten des Heeres als auch der Luftwaffe, der Marine und der Zentralen Sanitätsdienststellen entsandt werden. 60 bis 80 Soldaten, so Scharping, seien dabei für den Schutz ihrer Kameraden zuständig. Als zusätzliche Kosten für den Einsatz wurden für zwölf Monate rund 330 Millionen Mark veranschlagt. Bettina Gaus