Vereinigung mit der Maschine

■ Die Neo-Situationisten Add N To (X) sammeln den Soundabfall der Zivilisation und proben den kontrollierten Kontrollverlust

Mal wieder die Zukunft. Endlich mal wieder die Zukunft. Nicht die resignativ-privatistische von Rückzug, Abgrenzung und Verfeinerung, sondern ein künstlerisch-offener Aktionismus, der Leben, Denken, Widersprüche und sich selbst feiert. Lange hat sich kein musikalisches Projekt mehr so aus dem Fenster gelehnt, wenn es darum geht, Modelle, Utopien und Behauptungen in die Welt zu posaunen.

Ann Shenton, Barry Smith und Steve Claydon sind Neo-Situationisten unter Hochspannung. Jede(r) hat etwas mitzuteilen und zwar jetzt und zwar mit Nachdruck. Kein Superlativ ist ihnen zu groß, keine Pose zu dick, keine Theorie zu gewagt. Ein Durcheinander assoziativer Ketten aus Fundstücken der ersten Welt, zu deren Ablaß die tonale Ebene natürlich nicht ausreicht. Die Künstlergruppe Add N To (X) brennt auf Erfindungen, Texte, Filme, Performance und Multimedia, durchzogen und gebrochen von Industrie-Zeitalter-Romantik. Die sich besonders in ihrer Musik transportiert.

Das klingt anmaßend, pathosschwer, elektrisch, laut. Aber nicht wirr. Und auch nicht Avant. Im Gegenteil. Gemessen daran, was unter diesem Terminus seit Stockhausen verhandelt wird, produzieren Add N To (X) auf Avant Hard, ihrer zweiten Veröffentlichung, Material für die fortgeschrittene Crossover-Jugend: Industrial-Klangbild, Hardrock-Posen und die Liebe zum Pop im Sinne von Wave.

„Musik ist kein Fall für die Postmoderne so wie Kunst“, erklärt Barry Smith. „Es gibt viel Postmoderne in der Musik, Ironie, Witz und Retro, aber wir sehen uns nicht als Modernisten. Wir glauben nicht an die Vergangenheit und nicht an die Zukunft. Wir glauben an die totale Gegenwart und tun hier und jetzt alles, was wir können.“ Das besondere an diesen rhythmischen Anhäufungen macht sich im Detail fest, den Samples, Sounds, Fundstücken, Müll. Add N To (X) sind Sammler, die für alles Liegengebliebene einen liebevollen Blick haben. Der Abfall der Zivilisation ist ihr Material. Sie sind Dr. Frankenstein, der die tote Materie kombiniert und elektrifiziert. Sie wollen Spaß, wollen Körper. Schließlich sind sie allesamt schon um die dreißig und haben arm und mittellos begonnen, mit Synthesizern, Moogs, Theremins, die sie auf Londoner Flohmärkten zusammengetragen haben und für ihre (menschliche) Unzuverlässigkeit preisen.

Besonders live wird der Wunsch nach liebevoll-aggressiver Vereinigung mit den Maschinen deutlich, hier inszeniert das um zwei Schlagzeuger verstärkte Trio kontrollierten Kontrollverlust, die bewußt-erhoffte Herbeiführung von Unfällen, Kurzschlüssen, Feedbacks und Schmerz zum Lustgewinn. Philosophie? Accidentialism.

Holger in't Veld mit Hoovercraft: Di, 11. Mai, 21 Uhr, Westwerk