Die Verhuschten

Tag der Anti-Klimax: die Lo-Fi-Fahnenträger Sebadoh traten bei „Top of the Pops“ auf und waren enttäuscht  ■ Von Felix Bayer

Eigentlich sollte hier ein Interview mit Sebadoh stehen, aber am Morgen des vereinbarten Termins sagte der Promoter ab. Zum Glück hatte er einen sehr guten Grund: Sebadoh waren mit der Single „Flame“ in die britischen Charts eingestiegen und waren zur Aufzeichnung von Top of the Pops nach London geflogen. Das hätte man sehen mögen: Die verhuschteste von allen amerikanischen Indie-Rockbands vor dem Jubelperser-Publikum im BBC-Studio. Seit es auch im deutschen Fernsehen Top of the Pops gibt, kennen wir dieses Studio: Es ist da im Nirgendwo, wo Holger Speckhahn und sein jeweiliges Ko-Moderatoren-Starlet angestrengt hinschauen, nachden sie einen internationalen Star angekündigt haben.

„Die Kids wissen gar nicht, wer da vor ihnen steht“, berichtet Sebadohs Bassist Jason Loewenstein in seinem enorm detaillierten Tourtagebuch auf der offiziellen Website von Sebadoh (www.sebadoh.com) verblüfft und spricht von einem „Tag der Anti-Klimax“: „In der Garderobe gibt es kein üppiges Büffet, sondern nur ein Schild, daß vor dem Asbest in den Wänden warnt.“ Und dennoch war die Einladung zu jener mythischen Show, die britischen Taxifahrern klarmacht, daß sie einen Star kutschieren, das Beste, was Sebadoh zur Veröffentlichung ihres siebten Albums, The Sebadoh, passieren konnte.

Denn noch nicht einmal die Indie-Rockwelt, in der sich Sebadoh so wohlig zuhause fühlen wie kaum eine andere Band behaupten, hatte besonders sehnsüchtig auf ein neues Sebadoh-Album gewartet. Während Built To Spill mit mächtigen Gitarrenmelodiebergen Größe ausstrahlen oder Pavement auf ihrem brillianten kommenden Album zu einer verzückenden Pop-Klarheit gefunden haben, bleiben Sebadoh stets genügsam in ihren überschaubaren Mitteln gefangen. Auf The Sebadoh durfte zu allem Überfluß Jasen Loewenstein sogar mehr von seinen Nicht-ganz-Punkrock-Songs aufnehmen als Lou Barlow von seinen sehnsüchtigen Liebesliedern eines glücklich verheirateten Mannes. „Flame“, das durch sein Motown-artiges Loop einzig hervorstechende Lied, hat natürlich auch Lou Barlow geschrieben.

Diese demokratische Aufteilung des Songwritings – sogar der neue Schlagzeuger Russ Pollard durfte gleich ein Lied beisteuern – ist vor dem Hintergrund von Barlows individueller Biographie durchaus nachzuvollziehen: Seinen Job als Bassist bei Dinosaur jr mußte er aufgeben, weil er mit J. Mascis' banddiktatorischem Tun nicht zurechtkam. „Mascis haßt Musik“, wurde Barlow später zitiert. Doch Sebadohs Musik tut die Banddemokratie nicht gut: Alle Hits der früheren Lo-Fi-Fahnenträger, ob nun „Rebound“ oder „Gimme Indie Rock“, hat Barlow komponiert, und selbst sein Seitenprojekt Folk Implosion war mit dem Song „Natural One“ aus dem Soundtrack zu Kids erfolgreich.

Natürlich ist Lou Barlow diese Kritik nicht neu. „Sollen die Leute sich doch eine Cassette mit meinen Liedern aufnehmen“, sagt er im Presseinfo zu The Sebadoh. Solcher Pragmatismus ist einer der Gründe dafür, daß Barlow und Sebadoh immer noch zu den sympathischsten Leuten im Indie-Rock zählen. Deshalb werden auch erratische Live-Auftritte vom Publikum gelassen hingenommen. „So isser halt, unser Lou“, wird dann gesagt und gehofft, daß das persönliche Lieblingslied doch noch irgendwann gespielt wird. Menschlich gesehen ist das ja alles wunderbar.

Aber in Anbetracht der Tatsache, daß Lou Barlow ein ganz toller Songwriter sein kann, wünscht man sich um der Kunst willen manchmal, daß aus dem bescheidenen, genügsamen Banddemokraten ein exaltierter, egoistischer Banddiktator würde. Aber so isser halt nicht, unser Lou. mit The In Out und The Jim Wayne Swingtett: Sa, 8. Mai, 21 Uhr, Logo