Stille Zeugen

Bilder als Appell: die Arbeiten auf der World-Press-Photo-Ausstellung im Gruner + Jahr Pressehaus  ■ Von Hajo Schiff

Katastrophen in aller Welt: Im Journalismus ist meist nur eine schlechte Nachricht interessant. Und auch im Bildbereich ist es kaum anders. Gelobt wird der Fotograf, der in einer dramatischen Situation rechtzeitig auf den Auslöser drückt. Und da die Gewalt nicht weniger wird, sind auch die von der Stiftung World Press Photo im jährlichen Wettbewerb ausgezeichneten Arbeiten meist eher ungemütlich. Seit 1955 sichtet die unabhängige niederländische Stiftung die weltweite journalistische Bildproduktion, vergibt Preise und schickt eine Ausstellung in über 70 Städte auf allen Kontinenten.

Die Auswahl des letzen Jahres, getroffen aus 36.836 eingereichten Fotos von 3.733 Fotografen aus 116 Ländern, ist nun erstmalig in Deutschland zu sehen. Dabei zählt weniger akademische Qualität als gut vermittelte Aktualität. Und so verwundert es nicht, daß die ersten Preise Bildern aus dem Kosovo gelten. Die trauernde Witwe eines UCK-Kämpfers wurde für die US-Amerikanerin Dayna Smith zur Ikone des Kriegleids und für die Jury zum Pressefoto des Jahres. Für politisch korrekte Ausgeglichenheit sorgt daneben das Bild eines serbischen Soldaten, der einem alten Albaner eine Wasserflasche reicht, diese seltene versöhnliche Geste wurde von einer Kinderjury als bestes Foto ausgewählt. Traurig, daß wir zugleich wissen, daß diese Haltung gescheitert ist.

„Das Dankbarste an der Fotografie ist, daß man seine künstlerischen Neigungen einbringen und außerdem soziale Mißstände anprangern kann“, begründet Preisträgerin Dayna Smith ihre Berufswahl. Und sie erläutert im Katalog näheres zum ausgezeichneten Bild: „Ich hatte gerade ein paar Fotos gemacht, als sie zusammenbrach. Zu diesem Zeitpunkt wußte ich bereits, daß dies ein sehr dramatisches kraftvolles Foto sein würde.“ Man muß nicht die pressefeindliche Wut eines Peter Handke haben, um hier jenes Dilemma zu sehen, das alle diese Schnappschüsse begleitet: Mit der Kamera macht der Fotograf eine dramatische Situation bekannt, von der er wider Willen bereits Teil geworden ist. Doch im Interesse der angestrebten Wirkung muß ihm sein optisches Distanzierungsgerät wichtiger sein, als seine Möglichkeit, direkt einzugreifen.

Da will ein Südafrikanischer Geschäftsmann einen Straßenräuber erschießen, da krümmt sich ein palästinensischer Provokateur unter dem Treffer eines israelischen Gummigeschoßes, da wird in einer Seitengasse Jakartas einem die Kehle durchgeschnitten – und die Kamera ist immer dabei. Das Bild vermag mehr Betroffenheit und Interesse zu mobilisieren als der sprachliche Appell. Doch um es über allgemeines Mitgefühl hinaus zu verstehen, braucht es die Erläuterung: Bild und Text gehören zusammen. So verweisen Bilder verletzter Frauen darauf, daß es in Bangladesch üblich ist, bei Liebesenttäuschung den Frauen das Gesicht zu verätzen: Pro Monat wird die Anzahl der Säureanschläge auf acht bis zehn geschätzt.

Über den Nutzen in der Presse hinaus finden die besten der Fotos zu universellem Zeichencharakter. In seiner Bildserie zum südsudanesischen Bürgerkrieg gelingt Tom Stoddart neben allem Elend sogar das Kunststück, Geburt und Tod in einem Bild zu fassen. Das Lieblingsbild des Rezensenten hat Tomasz Gudzowaty aufgenommen: Zwei junge Geparden legen in geradezu heraldischer Pose von links und rechts ihre Tatzen auf einen in der Mitte stehenden jungen Springbok. Was wie ein unschuldiges Emblem paradiesischer Visionen aussieht, ist Einübung in tödlichen Ernst: Im Rahmen des fast einjährigen Jagdunterrichts durch die Mutter, dürfen die sieben Monate alten Tiere mit der Beute spielen. Dann tritt für den Paarhufer der Ernstfall ein, und der Fotograf erhält den ersten Preis für Einzelfotos im Bereich „Natur und Umwelt“.

G+J Pressehaus, Baumwall 11, täglich 10 – 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, bis 28. Mai. www. worldpressphoto.nl