„Bereitschaft zur Selbstorganisation“

■ Start 7. Bremer Selbsthilfetag: 72 Initiativen stellen bis Samstag im Unteren Rathaussaal aus

„Stell Dir vor, er wiegt 20 Kilo“, steht auf einem Plakat. Auf dem Bild lediglich ein Lippenstift. Menschen, die von Muskelschwund betroffen sind, stehen im Alltag oft vor unvorstellbaren Hindernissen. Mit am schlimmsten ist es, wenn man sich damit allein und ausgegrenzt fühlt. Für viele der Anstoß, eine Selbsthilfegruppe zu gründen.

Von Donnerstag bis Samstag findet im Rathaus der 7. Bremer Selbsthilfetag statt. 72 Projekte und Organisationen, die engagierte Betroffene ins Leben riefen, stellen hier ihre Arbeit vor. Ärgerlich nur, daß man aus feuertechnischen Gründen diesmal eng zusammenrücken muß. Zwei Gruppen werden sich jeweils eine Info-Nische teilen und das ist nicht förderlich für vertrauliche Gespräche, die sich anbahnen sollen. Vor allem möchte man offen sein für interessierte Betroffene, eine erste Anlaufstelle bieten, sagen: Du bist nicht alleine. Denn der Weg, übers Telefon Kontakt aufzunehmen und Unbekannten von häufig tabuisierten Problemen zu erzählen, ist für viele zu hart, erzählt Clemens Müller vom „Netzwerk Selbsthilfe e.V.“.

Zusammen mit dem Bremer Topf veranstaltet das Netzwerk diesen „Markt der Möglichkeiten“. Im Bremer Topf sind 220 Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Denn anders als in anderen Städten gibt es in Bremen eine effektive Vernetzung zwischen den einzelnen Gruppen. 40.000 Bremer sind nach einer Schätzung des Senats in etwa 750 Selbsthilfegruppen organisiert, darunter Neugründungen, wie die „Nachtschwärmer“ (Betroffene von chronischer, nächtlicher Unruhe), die „Restless Legs“ (krankhaftes Beinkribbeln) oder die „Messis“ (chronische Unordnung).

Manchmal zeigt sich das Ausmaß an Betroffenheit erst in solchen Initiativen. Wenn einer den Stein ins Rollen bringt und sich „outet“, kommt es vor, daß viele darin ein eigenes, bislang unbenanntes Problem erkennen. 200 Anrufer in vier Wochen erfragten beim Netzwerk Infos zu den „Messis“. Immerhin 25 Betroffene meldeten sich zum Thema „Schiefhals“ (Torticollis) , was selbst Ärzte überraschte. Sie gingen von höchstens zehn „Fällen“ aus.

Während die ehrenamtlichen Aussteller in den nächsten Tagen wieder mit großer Resonanz für diese Veranstaltung rechnen - immerhin deutschlandweit die größte ihrer Art - machen sich die Veranstalter bereits Gedanken zum nächsten Bremer Selbsthilfetag 2001. Dann will man für den rießigen Informationsmarkt für Betroffene, Politiker und Professionelle, wie Psychologen, Sozialarbeiter und Ärzte, größere Räume und erstmalig ein Veranstaltungsmotto.

Liane Aiwanger

Eröffnung des Selbsthilfetages am Donnerstag, 11.00 Uhr, in der unteren Rathaushalle