Von Kameraperfektion verweht

■ Neu im Kino: „The Mighty“ feiert kunstvoll die Freundschaft unter Außenseitern

Bei „Funny Bones“-Regisseur Peter Chelsom darf (oder muß?) sich die ZuschauerIn wie ein Kleinkind fühlen; genauer: Wie eine SchülerIn, der mit gewieftesten didaktischen Tricks begreiflich gemacht wird, um was es im Leben geht. Auf den flockig-flaumigen Schwingen eines übersentimentalisierten Soundtrack, der vom edlen Altgesang und von wimmernder Sologeige bis zum spannungsgeladenen Action-Wummern kein Einpeitschungsmittel übergeht, erleben wir mit Haut und Haar jene Werte, welche die bombenwerfende, massenarmutproduzierende, rassistische amerikanische Gesellschaft nur allzu gerne als ihr wahres Fundament begreifen würde: Mut, Freundschaft und die Kraft, den eigenen Weg zu gehen. Die zwei vorpubertierenden Max und Kevin haben es schwerer als andere. Der eine ist fett, sprachgestört und allseits unbeliebt, der andere körperbehindert und totgeweiht. Und beide sind vaterlos – was in der amerikanischer Literatur von Hemingway bis Auster perverserweise noch immer als Synonym für quälende Identitätslosigkeit herzuhalten hat. So müssen sie sich ihr Ego höchstselbst erobern. Dabei behilflich ist ihnen eine alte, kitschig-verschnörkelte Lederschwarte: der Mythos der Artusrunde. Wenn sich zwei Schwache zusammentun, lehrt uns Chelsom, dann kann es geschehen, daß aus einem griesgrämigen Duckmäuser und einem verschrobenen, weltflüchtigen Bastler zwei gute, starke und – das vor allem – allseits geachtete Jungs werden. Zeichen: Sie geben eine gestohlene Handtasche zurück und riskieren ihr Leben für den anderen.

Klangvolle Schauspielernamen stehen für naturalistische Unerbittlichkeit. Cassavetes–Gina Rowlands und Harry Dean Stanton aus „Paris, Texas“ signalisieren Härte und Melancholie des Prollebens: Just so verbittert wie das Paar auf dem mythischen Farmerbild „American Gothic“ (1930) des realistischen US-Malers Grant Wood, heißt es gleich zu Beginn. Das Problem des Films ist auch gar nicht Kitsch oder Glätte. Eher schon die hohe technische Qualität. Ganz toll zum Beispiel: Ein Bettenrost mutiert zu einem Gefängnisgitter, hinter dem freier Himmel lockt. Cutter und Kameraleute haben sich aber vielleicht allzuviel einfallen lassen. Immer herrscht Großes: bei einem Feuerwerk hellster Überschwang, bei einer Flußdurchquerung reinste Todesangst, bei einem Basketballspiel höchste Lust. So kommt die eigentlich kleine, subtile, schöne Geschichte von der Freundschaft zwischen einem Überlebenden und einem Sterbenden daher wie „Vom Winde verweht“. Manchmal zur Beglückung, manchmal zur Pein der ZuschauerIn. Allerdings: Sharon Stone ist auch als zu Sorgenrunzeln genötigte Mutter, die nur ein einziges Mal knackigen Jeanshintern zeigen darf, sehr sexy. Und ein verfettetes, ein wenig autistisch versteinertes Kindergesicht, das im Alltag vermutlich nerven würde, kommt im Kinoformat ganz klasse geheimnisvoll. bk

Schauburg, UT-Kino