„Die CDU denkt da ganz anders“

■ Die Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel (grün) und die Kulturpolitikerin Carmen Emigholz (rot) schauen zurück auf vier Jahre schwarz-rote Kulturpolitik und suchen Perspektiven für die Zeit nach der Bürgerschaftswahl am 6. Juni

Unter dem Titel „Bremen neu erleben“ haben die Leute vom Stadtmarketing pünktlich zum Auftakt des Bürgerschaftswahlkampfes eine Werbekampagne gestartet und setzen dabei auffällig auf Kultur. Glaubt man den Plakaten, jagt neuerdings ein Großereignis das nächste. Schon bei ihrem Antritt hatte die große Koalition vor vier Jahren laut Vertrag eine Konsolidierung und Neudordnung der Kulturförderung angekündigt. Mehrere Neu- und Wiedereröffnungen von Museen und anderen Kultureinrichtungen folgten. Und die vor zwei Jahren vom Senat beauftragte Unternehmensberatung McKinsey begutachtete die Bremer Kulturszene und wirbelte damit viel Staub auf. Der hat sich zwar wieder gelegt. Dennoch ist nicht ganz auszumachen, wo der Reformprozeß angekommen ist. In einem ersten von mehreren Beiträgen zu den kulturpolitischen Perspektiven nach der Wahl haben wir zwei Hauptakteurinnen der Bremer Kulturpolitik der letzten Jahre danach befragt. Es diskutierten die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Carmen Emigholz und die bündnisgrüne Spitzenkandidatin Helga Trüpel (von 1991 bis 1995 Kultursenatorin).

taz: In diesem Wahlkampf ist kein echtes Thema auszumachen. Es scheint nur darum zu gehen, daß die CDU nicht zu viele Stimmen verliert und die SPD nicht zu stark zulegt. Woran liegt das?

Helga Trüpel: Das liegt an dieser Misere mit der großen Koalition. Sie haben eine vordergründig gute Stimmung hingekriegt. Und Henning Scherf hat seine Albatrosarme überall ausgebreitet, um alle Schäfchen einzusammeln. Das hat dazu geführt, daß alle Themen, die man hätte diskutieren müssen, zu kurz gekommen sind. Über alles ist ein Mantel gebreitet worden.

Carmen Emigholz: Soll ich als Sozialdemokratin und Landesvorstandsmitglied sagen, daß wir einen Wahlkampf machen, in dem wir möglichst wenig gewinnen wollen? Wir hoffen, daß wir kräftig dazugewinnen und stärkste Partei werden. Wer mit wem regiert, entscheidet sich am Wahltag. Und: In der nächsten Legislaturperiode muß es darum gehen, Felder, die jetzt nicht besetzt worden sind, zu besetzen. Das gilt vor allem für die sogenannten weichen Bereiche.

Welche Rolle spielt dabei die Kulturpolitik?

Trüpel: In dieser Legislaturperiode hat es ja fast nur eine Auseinandersetzung um McKinsey gegeben. Aber eine Diskussion über die Themenfelder Kultur in der Tätigkeitsgesellschaft oder Kultur vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Migrationsgesellschaft ist nicht weitergeführt worden. Und ansonsten: Diese ganzen Eröffnungen von Kulturinstitutionen, die als das neue Bremen gefeiert werden, sind bis auf das Musical Entscheidungen der Ampel-Koalition. Da haben wir ja schon deutlich gemacht, daß zu einem wirklichen Aufbruch auch eine lebendige Kulturszene gehört.

Emigholz: Ich würde bestreiten, daß die Bremer Kulturszene nicht lebendig ist. Das Defizit liegt eher darin, daß der Kultursektor auch in Zeiten, als wir viel Geld hatten, im Bundesvergleich zu niedrig finanziert worden ist. Und in Zeiten, in denen wir sparen müssen, macht uns die Grundfinanzierung enorme Sorgen, weil Sparquoten den Bereich erheblich treffen. Aber es greift zu kurz, daß in der letzten Legislaturperiode nur über McKinsey diskutiert wurde. Wir haben uns um eine Konsolidierung der Kulturfinanzierung bemüht. Nun kann man als Opposition sagen: „Wir sind damit nicht zufrieden.“ Aber durch das Ausschalten von Kürzungsquoten haben wir den Bereich antizyklisch gefördert. Bei den Museen, der Shakespeare-Company oder dem Waldau-Theater haben wir kräftig erhöht. Es ist was passiert! Wenngleich ich sagen muß: Der gesamte freie Bereich von der Künstlerförderung bis zur Stadtteilkultur ist zu kurz gekommen. McKinsey hat auch Vorteile gebracht und zu einer sehr lebendigen Diskussion in der Stadt geführt.

Trüpel: Das ist aber trotz der Kulturpolitik passiert. Daß diese weitergehenden Privatisierungsvorschläge von McKinsey abgeschmettert wurden, ist ein Teil dieses Prozesses. Jetzt ist die Politik wieder gezwungen zu antworten. Denn anders als die ursprünglichen Erwartungen an McKinsey, möglichst viel Geld anders und privat zu erwirtschaften, ist das in dem Ausmaß gar nicht möglich. Die Auseinandersetzung hat auch gezeigt, daß neue Steuerungsmodelle okay sind, wenn die Einrichtungen autonom werden und erwirtschaftete Einnahmen behalten können. Aber die Kulturpolitik darf sich nicht aus der Basisfinanzierung verabschieden.

Zieht sich die Politik zurück?

Emigholz: Das würde ich ganz vehement bestreiten. Es gibt einen öffentlichen Auftrag, Kultur zu finanzieren. Es muß auch ein kulturelles Angebot geben, das für die Menschen dieser Stadt erschwinglich ist. Wir dürfen Kultur nicht nur als Standortfaktor diskutieren. Es muß jetzt auch um die offene Frage gehen, unter welchen inhaltlichen Kriterien die kulturelle Wirt-schaftsförderung gemacht wird.

Trüpel: Das Geld aus der Wirtschaftsförderung muß dem Kulturressort zugeschlagen werden.

Also lautet die Bilanz der letzten vier Jahre: Schön, daß wir miteinander geredet haben?

Emigholz: Das würde ich für zynisch halten. Man muß das, was ganz ernsthaft diskutiert worden ist, in neue Formen umsetzen, die den sogenannten Kulturschaffenden und auch den Kulturkonsumenten zugute kommen.

Trüpel: Die McKinsey-Entwicklung ist nur deshalb so gut ausgegangen, weil sich viele Künstler so vehement eingemischt haben. Das Beharren darauf, daß Kulturpolitik eine demokratische Angelegenheit sein muß und nicht in irgendwelchen GmbHs versanden darf, ist wichtig. Und ich bin froh, daß das gesichert ist.

Emigholz: Kulturpolitik ist nur ein Reflex auf die Diskussionen im öffentlichen Bereich. Politik sollte sich davor hüten, Kultur selbst veranstalten zu wollen, sondern kann nur die Rahmenbedingungen schaffen und verbessern. Und das haben wir durch zahlreiche Veranstaltungen und Hearings getan. Und wir haben versucht, an diesem Prozeß dranzubleiben. Helga weiß, wie kompliziert das auch innerhalb dieser Koalition war. Denn die CDU hat sicher eine ganz andere Vorstellung von Kulturpolitik als wir.

Welche denn?

Emigholz: Der inhaltliche Begriff der CDU ist Abbilden und Präsentieren. Doch zu einer Stadt mit Ansprüchen, eine Kulturstadt zu sein, gehören auch Produktivität und ein kreatives Potential. Ich denke, daß die SPD nicht erst seit gestern auf eine vielseitigere kulturelle Landschaft setzt und der freie Bereich eine viel größere Rolle spielt. Es sind nicht nur Museen und traditionelle Einrichtungen wichtig.

Trüpel: Das hat auch etwas mit einem Reizklima und damit zu tun, wie offen man für neue Entwicklungen ist. Die CDU hat sich immer sehr auf Gesichertes kapriziert. Doch gerade wenn man Kulturpolitik macht, muß man sich auf Risiko einlassen wollen. Ich bin deshalb immer noch der Meinung, dafür einen speziellen Fonds zu haben.

Emigholz: Unser Problem ist, daß die allgemein definierten Fonds-Töpfe immer leichte Beute für die Kürzungspolitik waren. Das muß anders werden. Wir haben zwar einiges erreicht, aber es stehen noch Sachen auf der Liste, an denen wir noch arbeiten müssen. Ein weiteres Problem ist die Entwicklung von Stadtbibliothek und Volkshochschule. Die beiden Einrichtungen sind zwar selbständig, aber nach wie vor der Personalsparquote unterworfen. Und wir brauchen dringend eine neue Zentralbiblithek.

Neben der Leiterin der Stadtbibliothek klopfen noch Leute im Kulturamt an, die eine Schwankhalle oder einen Kartoffelbunker wünschen und ein Musicon in den Hafen oder auf die Bürgerweide stellen wollen. Kann der Kulturbereich immer weiter wachsen, oder muß dann nicht auch jemand aus der Förderung herausfliegen?

Trüpel: Um diese Debatte wird man nicht herumkommen. Man kann nicht davon ausgehen, alles und jedes zu fördern. Aber gerade am Beispiel der Musicon-Frage muß ich sagen: Das ist ein sehr diskutierenswertes Projekt, das allein von der Architektur etwas besonderes ist.

Emigholz: Ich bin auch der Meinung, daß das ein sehr attraktives Projekt ist. Das Musicon setze ich an die erste Stelle. Aber ansonsten stimme ich mit Helga überein, daß nicht jede Begehrlichkeit erfüllt werden kann. Ich habe bei der jetzigen Finanzlage ein schlechtes Gewissen, weil wir einmalige Investitionsgelder leichter beschaffen können als die laufenden Betriebskosten. Ich glaube, daß es Charme hat, wenn wir vorhandene Einrichtungen schrittweise ausbauen. Und da gibt es mittelfristige und langfristige Projekte.

Was sind denn die mittelfristigen Projekte?

Trüpel: Was als erstes ansteht: Wir müssen unbedingt das Problem mit der Zentralbibliothek lösen, das ist mehr als überfällig.

Emigholz: Ich würde das um das Thema ergänzen, wie man in den Stadtteilen wirklich Kristallisationspunkte schaffen kann. Wir müssen uns aber davor hüten, daß sich jeder Politiker einen eigenen Tempel baut. Doch beim Teerhof (Hotel plus Theater; Anm. d. Red.) sollten wir sehen, ob wir das hinkriegen.

Trüpel: Wenn das gelingt, wäre das sowohl kultur- als auch stadtentwicklungspolitisch ein Gewinn. Und wenn es in den ganzen Fragen der Wirtschaftspolitik eine Öffnung geben würde, wäre auch das ein Gewinn. Ein Musicon könnte Bremen stärker aufwerten als diese ganzen Einkaufszentren, in die jeweils ein Multiplex- oder Imax-Kino integriert werden soll.

Wie geht's weiter, wenn die 50 Extra-Millionen zum Ausgleich für den gekürzten Eckwert verbraucht sind?

Emigholz: Wir brauchen ganz schnell eine Diskussion über den Haushaltseckwert. Bedarfe, die zur Haushaltsführung nötig sind, muß der Kulturhaushalt abdecken. Und es kommt darauf an, die freie Szene aus diesem permanenten Kürzungsdruck herauszuhalten.

Fragen: Christoph Köster