Junge Virtuelle an der Donau

Unterwegs zu kreativen Fax- und E-Mail-Bomben: In Berlin und Wien leben die Kunstszenen noch immer den Aktionismus der 50er Jahre aus. In Lutz Dammbecks „Meisterspiel“ wird daraus ein austriakischer Übermalungskrimi um Neorechte und Postmoderne  ■ Von Helmut Höge

Auf dem Weg von Wien nach Berlin politisiert sich die Kunst. Umgekehrt wird sogar ein rechtsradikaler Briefbombenterrorist wie der steirische Vermessungsingenieur Franz Fuchs wieder zum „größten Konzeptkünstler“ – und Mail-Art-Performer – der Nachkriegszeit. So gerade geschehen auf einem Grazer Symposion des Forum Stadtpark über den „Einzeltäter – in Kunst und Verbrechen“.

Der Reihe nach: Die Wiener Gruppe (H. C. Artmann, G. Rühm, K. Bayer, O. Wiener, F. Achleitner) nahm mit ihrer „poetischen Praxis“ bereits in den 50er Jahren wesentliche Elemente des Punk vorweg, von denen in West-Berlin noch Hausbesetzer und Autonome praktisch-politisch zehrten. Im Gründungsmanifest von 1953 nennt die Wiener Gruppe als ihre historischen Vorbilder Nero und Don Quichotte! Auch die (Instrumenten-)Zerstörungen von The Who und Jimi Hendrix nahmen sie in ihren „avantgardistischen Performances“ (J. Ullmaier) gekonnt vorweg: Beim Zerschlagen eines Flügels „bekam eine mittellose musikstudentin im publikum einen weinkrampf, denn sie hatte sich bislang noch keinen flügel leisten können. das freute uns.“

Der Skandal war im sittenstrengen Wien noch steigerungsfähig. Die Künstler nahmen dabei Haftstrafen in Kauf, als Signum ihrer Radikalität. Aber das Festgefügte machte auf Dauer auch mürbe. Konrad Bayer vergaste sich 1964 selbst, Oswald Wiener wich mit einigen anderen nach Berlin aus – ins „Exil“. So hieß dort sein erstes Lokal, später kam die Paris-Bar dazu. Erst Stammlokal der HdK-Professoren, zuletzt Hauptquartier der Jungen Wilden, die erst mit der Wiedervereinigung wichen. Der Maler Lüpertz resümierte 1996 im Berlinale-Film „Wüste Westberlin“: „Wir haben Berlin an den Weltkunstmarkt angeschlossen“, und „die Paris-Bar wurde zum absoluten Muß der Kunstwelt“. Die „regressive Revolution“ dieses neuurbanen Lebensgefühls war indes in Wien längst von den Aktionisten (um H. Nitsch, G. Brus, R. Schwarzkogler und O. Muehl) vorweggenommen – ja ausrealisiert – worden, wobei die neoexpressiven Schinken von Otto Muehl quasi Vorbildcharakter hatten.

Bereits Mitte der 60er Jahre war auch der Übermaler Arnulf Rainer schon so berühmt, daß er nur noch teure Bilder übermalte – und außerdem Wien, Paris und Berlin zugleich überwohnte. In seinem Berliner Domizil beteiligte sich sein Mitbewohner, der Maoist Christian Semler, an den ersten Drogenexperimenten. In Wien politisierte sich derweil die Zeitung Das Unheil, in der nur Unfälle – weltweit und nach Rubriken sortiert – abgedruckt wurden. Die Redaktion widmete sich fortan dem Kampf um die Erhaltung von Kunstdenkmälern.

Während R. Schwarzkogler 1969 mit einem wohl von Drogen beflügelten Sprung aus dem Fenster Selbstmord beging und G. Brus sowie H. Nitsch sich zu erotischen Neosymbolismen (für Reiche) verstiegen, trieb Muehl die ästhetische Regression derart in die therapeutische Ganzheitlichkeit ab, daß daraus eine Landkommune mit internationalem Zulauf wurde. Im burgenländischen AA-Kommune-Zentrum verblieb die Definitionsmacht für Ausdruckskraft beim Kommunegründer Muehl. Der feine Zynismus der Wiener Gruppe wandelte sich darob zu politsektenartigem Ernst: „Mit Ausnahme von frühen Muehl-Aktionen“, schreibt M. Büsser, „die starken Cabaret-Charakter hatten: beim Vögeln Blockflöte spielen“ etwa. Folgerichtig verknackte man Muehl am Ende wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern (“seiner“ Kommune-Töchter). Er wurde 1998 wieder freigelassen – und in Wien sogleich mit einer reuigen Kunst-Retro inklusive Burgtheater-Event geehrt, wobei es auf der „100 Jahre Sezession“ zu einer Protest-Übermalung kam – durch einen stadtbekannten „Pornojäger“, der ein Muehl-Bild mit roter Farbe „überschüttete“.

Etwa zeitgleich zur AA-Kommune-Gründung waren in England und Amerika mehrere Hardcore-Kunstgruppen entstanden, die einen an dem depressiven „Selbstamputierer“ Schwarzkogler orientierten Individualterrorismus mittels Destruktionsmaschinen verfolgten. Berühmt wurden damit Throbbing Gristle und Survival Research Laboratories – dem Gründer der Gruppe, Marc Pauline, riß es bei einer Explosion die linke Hand ab!

1993 begann der Langzeitarbeitslose Franz Fuchs, im Namen einer Bajuwarischen Befreiungsarmee (BBA) verschiedenen Personen des öffentlichen Medienlebens, die sich für die Rechte von Ausländern engagierten, die Hände wegzusprengen (mittels Briefbomben). Außerdem tötete er vier Roma. Und schrieb querulatorische Bekennerbriefe an alle „Verantwortlichen“, in denen er die akut gefährdete (österreichisch-bayerische) Erstbesiedelung des Alpenraumes im 5. Jahrhundert zu seiner Rechtfertigung heranzog. Als man ihn 1998 verhaftete, sprengte er sich selbst die Hände weg. Gerade wurde er – als Einzeltäter – in Graz zu lebenslänglicher Sicherheitsverwahrung verurteilt.

Auf der Berlinale 99 hatten zwei Künstlerfilme Premiere. Der eine über Wien: „Das Meisterspiel“ läuft jetzt in Berlin an. Der Leipziger Regisseur Lutz Dammbeck zieht darin einen Bogen von der klammheimlichen Übermalung einiger Bilder des inzwischen verkunstprofessorten Übermalers Arnulf Rainer und dessen rechtem Familienumfeld bis zum Briefbombenterroristen Fuchs. Am „Tatort Atelier“ – von Prof. Rainer – fand sich seinerzeit neben der Über-Übermalung die Nachricht: „Also beschloß er, Aktionist zu sein“. Laut Wiener Falter eine Modifikation des Hitler-Bonmots „Also beschloß ich, Berliner zu werden“. Was man in Wien als „Moderne von rechts“ betitelt, ist in Berlin, für Michael Rutschky, jedoch nur ein „postmoderner Schwurbel“. Aus dieser Kunstszene kam dazu das Filmspiel „killer.berlin.doc“: Zehn Medienkulturschaffende sollen sich im urbanen Großraum gegenseitig umbringen – als Junge Virtuelle freilich bloß.

Daß ihnen dabei nicht mehr einfällt als immer nur DJs, Clubs und E-Mails, liegt ebenfalls an der blauen, blauen Donau. Denn dort hatte sich inzwischen mit Haider eine „neotribale Struktur des öffentlichen Raumes“ (wieder-)hergestellt. Zum Hintergrund hat sie einen dualen (rot-schwarzen) Staatskapitalismus, der Konkurrenzen als Fakes produziert (und Privatisierungen z. B. nur als Coup der Staatsbank zuläßt), während im Vordergrund z. B. Staatskuratoren laufend neue Club-Räume auftun, um internette DJs und ihren Anhang zusammenzuführen. In Berlin wurde daraus flugs eine – laut Einschätzung der Veranstalter – „politische“ Love Parade. Zuvor war jedoch mit der Wende der Bezirk „Mitte“ erst einmal von nahezu waschechten Wienern durchkämmt worden, was eine ganze Reihe von Locations zur Folge hatte. Karl Kraus sprach seinerzeit bereits – verächtlich – von „Technoromantik“.

Witzigerweise glaubt man in Wien aber ansonsten, daß der „Prozeß“ genau umgekehrt verlief: So gab es zuerst, von Berlin ausgehend, die „Innenstadt-Aktionen“ postautonomer Künstler gegen soziale Entmischung bis hin zur NGBK-Ausstellung „baustop.randstadt“. Und dann wurde diese interurbane Politkunst in Wien quasi bloß nachgestellt – indem man dort einfach auf einer Verkehrsinsel eine Diaprojektion aufbaute, um dafür sogleich in dem von einem Staatskurator gegründeten „Zentralorgan“ Springerin rezensiert zu werden, womit diese Aktion sich bereits „glücklich“ rundete.

Ähnlich dann auch die von Wien über Zürich nach Berlin sich ausweitenden Aktivitäten der Gruppe WochenKlausur: Sie „thematisierten“ auf Anraten des jetzigen Staatskurators Wolfgang Zinggl die sich direkt vor ihrem Sezessions-Standort am Karlsplatz sammelnden Fixer.

Bei ihrer späteren Einladung nach Berlin ging es ihnen um die in dieser Stadt besonders „besorgniserregend“ aufgestauten Arbeitslosen. Ihr „Projekt“ lief jedoch – leise – ins Leere.

Eher laut wurde es dann beim Wiener Künstlerduo Alexander Brener/Barbara Schurz, als diese im Berliner Brecht-Zentrum ihre an Foucault orientierten „transgressiven Widerstands-Techniken“ vorstellten, die eine individualanarchistische Überwindung des Moskauer Aktionismus von Alexander Brener bedeuteten. Dabei hatte dieser in der Tretjakow-Galerie einen Van Gogh mit Scheiße beschmiert, die weißrussische Botschaft mit Flaschen beworfen, im Amsterdamer Museum einen Malewitsch übersprüht und in Berlin die East Side Gallery überpinselt. Jedesmal war er schwer verprügelt bzw. verhaftet worden, so daß eine „Transgression“ ins Theoretische schon aus gesundheitlichen Gründen geboten war. In Berlin wurde er dafür jedoch noch einmal körperlich angegriffen – vom Kreuzberger Endart-Künstler Chicken, der zusammen mit dem Performanceprofessor Kapielski die zwei aus Wien derart auflaufen ließ, daß es das ganze Symposion „sprengte“. „Das Meisterspiel“. Regie: Lutz Dammbeck. Deutschland 1998, 106 Minuten

Staatskuratoren suchen Club-Räume, um internette DJs und ihren Anhang zusammenzuführen