Kolumbien auf Friedenskurs

Heute beginnen Gespräche zwischen der Regierung und der Guerilla. Letztere will damit einen Einmarsch der Armee in ihre Gebiete verhindern  ■   Aus Bogotá Ralf Leonhard

„Der Frieden ist möglich“. Mit dieser optimistischen Einschätzung meldete sich der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana Sonntag abend von einem Termin im Guerillalager zurück. Fast hätte er im mosquitoverseuchten Urwald von San Vicente de Caguán in der Hängematte übernachten müssen. So vertieft war er im Gespräch mit seinem Widersacher Manuel Marulanda, dem Oberkommandierenden der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC), daß er fast das letzte Tageslicht zum Rückflug nach Bogotá verpaßt hätte. Mit dem historischen Treffen konnten die beiden eine bedrohliche militärische Eskalation abwenden und den festgefahrenen Friedensprozeß wieder in Gang bringen.

Heute wird der Dialog, der sich bisher in gegenseitigen Forderungen erschöpft hat, in ernsthafte Verhandlungen mit einer detaillierten Tagesordnung und internationaler Begleitung übergehen. Die Tagesordnung wurde am Dienstag ausgetüftelt. Als Garanten sind acht Staaten, darunter der Nachbar Venezuela, Guatemala, Mexiko, Kuba, Deutschland und Spanien vorgesehen.

Der Chef der staatlichen Friedenskommission Victor G. Ricardo wird bei den Gesprächen vom Industriellen und Pastrana-Intimus Nicanor Restrepo unterstützt. Auf Seiten der FARC werden die Comandantes Alfonso Cano und Iván Márquez am Tisch sitzen. Beide haben schon Erfahrung von früheren Dialogrunden in Mexiko und gelten als gemäßigt.

Das als Mediencoup vorbereitete Gipfeltreffen im Dschungel rettete Pastrana aus einer handfesten Krise. Jüngste Umfragen bescheinigten die zunehmende Skepsis der Bevölkerung gegenüber dem Friedensprozeß, während die Popularitätskurve des Präsidenten nach neun Monaten Amtszeit bereits unter den Tiefstwerten des in Drogengeldaffären verstrickten Vorgängers Ernesto Samper lag. Dazu kommt, daß die Wirtschaft, deren robustes Wachstum lange Zeit selbst von politischer Instabilität und Drogenkrieg nicht beinflußt wurde, in eine tiefe Rezession geschlittert ist. Rekordarbeitslosigkeit von 20 Prozent und abnehmende Inlandsnachfrage werden so schnell nicht zu beseitigen sein. Daher braucht die unternehmerfreundliche Regierung zumindest politische Erfolge.

Für die FARC hätte ein Abbruch der Gespräche das Ende der entmilitarisierten Zone bedeutet: vier Gemeinden mit einer Gesamtfläche wie die Schweiz, die vorerst bis 7. Mai als „Entspannungsgebiet“ der Guerillaverwaltung überlassen wurden. Da an den Grenzen dieser Zone bereits die Armee und paramilitärische Truppen auf den Einsatzbefehl warteten, hätte die Nichtverlängerung dieses Status ein Gemetzel zur Folge gehabt.

Daß auch die USA, die die Instabilität in Kolumbien als Bedrohung betrachten, grünes Licht für eine politische Lösung geben, erleichtert den Friedensprozeß. Botschafter Curtis Kamman verlangt allerdings, daß die Guerilla ihre Verbindungen zum Drogengeschäft, ihre wichtigste Einnahmequelle, aufgibt: „Ich sage nicht, daß sie selbst Drogenhändler sind, sondern für den Schutz des Drogenhandels Geld kassieren. Das muß aufhören.“ Das State Department steht mit seiner Position allerdings im Gegensatz zu den Think Tanks der Republikaner, die eine Aufrüstung der Armee und mehr militärisches Engagement der USA fordern.

Auch das „Nationale Befreiungsheer“ (ELN), das seit Monaten an den Verhandlungstisch drängt, aber bisher als die schwächere Guerilla von der Regierung weniger ernst genommen wurde, kann sich Hoffnungen machen. Die Aufnahme von Verhandlungen wird nur noch von der Freilassung der 32 Passagiere einer am 12. April entführten Verkehrsmaschine abhängig gemacht. Damit hat sich die Entführung politisch gelohnt. Die Übergabe der Geiseln wird lediglich durch Sicherheitsbedenken verzögert, da rechte Paramilitärs die Umgebung unsicher machen.