Deutschland und der Krieg (Teil 3)
: „Was geht uns das an?“

■ Thüringen: Kyffhäuser, Pension „Krieg“, Schierke am Brocken. – Ach. Der Krieg bringt das Fernsehprogramm der kleinen Leute durcheinander. Löwenzahn wächst empörenderweise im Staub vor dem Denkmal, und „den Russen“ haben die Amis einfach gekauft

Am Fuße des riesenhaften Kyffhäuser-Denkmals, das im Süden der Goldenen Aue im Thüringischen majestätisch in der Sonne prunkt, sitzt das kleine Ehepaar Perschutta und sonnt sich. Die beiden sind vielleicht sechzig Jahre alt, sie trägt dunkelrot gefärbte Dauerwellen, Goldrandbrille und schaut recht mürrisch, er ist vom Kopf bis zu den Sandalen ganz in Grau gehalten und schaut auch mürrisch. Er empört sich gerade über den gelb blühenden Löwenzahn im Staub vor dem Denkmal. „Wahrscheinlich lassen die den absichtlich hier stehen. Natur! Das geht ja heutzutage über alles. Verdammte Unordnung!“

Gut. Ich stelle mich vor, frage nach dem Krieg. Er schaut weg. Schweigt. Dann knapp in breitestem Sächsisch: „Kann ich mal Ihren Ausweis sehen? Sie müssen doch sowas wie einen Ausweis haben.“ Habe ich. Zeige ich. Beim Anblick des Presseausweises nimmt er sogleich seine Gesichtszüge zusammen, und dann bricht es förmlich aus ihm heraus: „Ja, meine Meinung kann jeder hören. Also: Ich halte gar nichts davon. Wir sollten uns da raushalten. Wir können da gar nichts ändern. Das war immer so. Ein dritter Beteiligter an so einem Krieg macht es nur noch schlimmer. Sollen die sich da unten doch die Köppe einschlagen. Was geht uns das an? Aber die Amerikaner machen das ja bloß, um ihre Wirtschaft anzukurbeln und die alten Waffen loszuwerden. Bitte, sollen sie. Aber wir müssen da ja nicht auch noch mitmachen. Kriege hat's immer gegeben. Das ist halt so.“ Seine Frau wirft kurz ein: „Kriege haben nie was Gutes gebracht.“ Und Herr Perschutta fährt fort: „Lenin hat mal ein Buch über den gerechten Krieg geschrieben. Das soll man mal nachlesen, heute. Ich sage nur: Bis 1990 hatten wir im ganzen Osten ein stabiles System. Sehen Sie nur, was dieser Zusammenbruch gebracht hat. Krieg und Tod. Ich will gar nicht sagen, ob das besser war, damals, aber stabil war's eben. Und mit den Vertreibungen und so, was will man da machen? Sie müssen nur mal ins Tierreich gucken: Die Kranken und Schwachen haben da keine Chance, kommen weg. Das ist halt so. Blöd ist nur, daß jetzt gar nichts anderes mehr im Fernsehen kommt.“

Ach. Dabei hatte der Tag eigentlich so schön begonnen. Man saß beim Freibier- und Thüringer-Wurst-Frühstück friedlich an der Bundesstraße in einem neu eröffneten Vereinslokal und sprach mal ausnahmsweise nicht über das Kosovo. Dann in Bad Langensalza hatte man an einer „Pension Krieg“ gehalten, um dort vielleicht ein schönes Statement von militaristischen Hotelbesitzern zu bekommen. Doch „Krieg“, so versicherte mir eine leicht verwunderteDame, war nur der Name der Vorbesitzer gewesen und habe ganz und gar nichts mit dem Geist des Hauses zu tun. Beruhigt fährt man weiter durch ein so friedliches Land.

Und am Abend sitzt man dann in „Holzfällers Braustube“ im schönen kleinen Harzort Schierke am Fuße des Brocken dem Herrn Fanz gegenüber, aus Ostberlin, wie er sich vorstellt. Herr Fanz ist wohl so Mitte fünfzig, trägt ein grün gestreiftes Hemd mit roten Rosen, hat einen graumelierten Bürstenhaarschnitt, Froschaugen, eine lange Nase und kein Kinn. Herr Fanz hält den ganzen Krieg für einen Witz. Die Amerikaner hätten den Miloevic, so sagt er, schon lange umhauen können. Allein, die wollen ihre neuesten Waffen ausprobieren. So muß der Krieg noch andauern. Und „den Russen“ haben sie einfach gekauft. Seine Informationen bekommt Herr Fanz vom Videotext Tafel 111, da sitzt er am Tage gern davor, da kommen ständig die neuesten Meldungen, auch die, die dann später unter den Tisch fallen. Nur in der „Morjenpost“, da stehen auch manchmal so gute Sachen drin. Worum es wirklich geht in diesem Scheinkrieg. Sein Kopf wird roter und röter, die Augenlider werden schwerer, endlich kommt der Ruf seiner Frau vom Nebentisch: „Is gut jetz, Wolfgang, beruhig' dich und komm wieder zu uns.“ Herr Fanz verabschiedet sich höflich.

Text und Fotos:

Volker Weidermann