„Du Peter, ich hab' echt Probleme ...“

■ Nach sechs Wochen Krieg ist die Stimmung in der SPD-Fraktion dem Tiefpunkt nahe. Doch öffentliche Kritik will niemand äußern

Bonn (taz) – „Die Stimmung in der SPD ist ...“, Kunstpause, die Stimme der Abgeordneten senkt sich, „ist Scheiße.“ Da ist zum einen der Kosovo-Krieg und die wachsende Kritik innerhalb der eigenen Reihen an den Nato-Bombardements, aber da ist auch die fast schon hilflose Verzweiflung über den Zustand der Regierung insgesamt. Die Innenpolitik, insbesondere der Streit um die 630-Mark-Jobs „ist Semtex“, sagt einer. Semtex ist Sprengstoff. „Der Kosovo-Konflikt ist Plutonium.“ Nur wegen der Explosionsgefahr wirken die Reihen nach außen noch relativ fest geschlossen.

Selbst nach sechs Wochen Krieg im Kosovo sind es nur eine Handvoll SPD-Politiker, die öffentlich Kritik an den Bombardements üben. Andrea Nahles, Hermann Scheer, Konrad Gilges – niemand aus der ersten Garde. Dennoch ist klar, daß diese wenigen Mutigen bei weitem nicht alleine stehen. „Wenn der Druck von der Bundesregierung nicht wäre“, sagt ein Abgeordneter, „dann wäre die klare Mehrheit für eine sofortige Feuerpause.“

Andere berichten von immer größer werdenden Zweifeln und bohrenden Fragen. Immer mehr kommen morgens früh, noch bevor der parlamentarische Alltag beginnt, zum Fraktionschef Peter Struck und sagen: „Du Peter, ich hab' echt Probleme.“ Vor allem die Angriffe der Nato auf zivile Ziele wecken Widerstand. „Wir haben mehr und mehr den Eindruck“, sagt ein Abgeordneter, „daß wir es mit einem ordinären Krieg zu tun haben – vulgär, brutal, undifferenziert.“ Dennoch bleibt festzuhalten: Die Ablehnung des Krieges in der SPD artikuliert sich nicht öffentlich. Schonung für eine Regierung, die unter existenziellem Druck steht?

In der vergangenen Woche hatte sich die Stimmung in der SPD-Fraktion entladen. Es ging aber nicht um den Kosovo-Krieg, sondern um die 630-Mark-Jobs und das Gesetz zur Scheinselbständigkeit. Arbeitsminister Riester hatte in der Fraktion den Kanzler frontal angegriffen, weil dieser Korrekturbedarf angemeldet hatte. Der riesige Beifall für Riester mußte Schröder verletzen. Bei Schröders Gegenrede kam es noch schlimmer: „Aufhören“, rief jemand; „lies doch erst mal das Gesetz durch“, ein anderer, und ein junger Abgeordneter sagte sinngemäß: „Ich habe hier noch keinen Redebeitrag gehört, der dermaßen wenig von Sachkenntnis getrübt ist.“ Schröder sagte eingeschnappt: „Dann kann ich ja gehen.“ „Dann geh doch“, schallte es zurück. So etwas, sagen die Abgeordneten, hätten sie auch noch nicht erlebt.

Hatte sich hier der Frust der Abgeordneten stellvertretend entladen? Denn Kritik am Kosovo-Kurs der Regierung verbietet sich für die meisten Abgeordneten. Einerseits, weil sie dem Einsatz der Nato selbst zugestimmt haben und jetzt nicht als Umfaller dastehen wollen, andererseits, weil die Regierung die massive Kritk aus den eigenen Reihen nur schwerlich aushalten würde. Ein Abgeordneter analysiert: Wenn in der SPD die Stimmung für einen sofortigen Kriegsstopp deutlich zunimmt, dann müßten uns die Grünen toppen. Und dann „fliegt das Bündnis auseinander“.

Andererseits, so wird spekuliert, könnte der Unmut der Abgeordneten über die Regierungsleistung dafür sorgen, daß sie auch mit ihrer Ablehnung des Krieges nicht länger hinter dem Berg halten. Schröder und seiner Regierung wird angekreidet, daß kein klares Konzept erkennbar ist. Auf keinem Gebiet sei ein Durchbruch erreicht. Kaum beschließe die Regierung eine Gesetzesänderung, wehe ihr ein Sturm der Entrüstung entgegen – und zwar nicht nur von den Arbeitgebern, sondern gerade, wie bei den 630-Mark-Jobs, von den sogenannten kleinen Leuten. „Selbst die Gewerkschaften sind gegen uns.“

Aber noch ist der Zeitpunkt des Aufstandes nicht gekommen. Erst mal warten die Genossen gebannt den Parteitag der Grünen am 13. Mai ab. Die Stimmung soll nicht noch weiter verschärft werden. Denn sonst, schwant manchem, ist die Koalition wirklich zu Ende.

Markus Franz