: Science-fiction als Pflichtlektüre
■ „Das Verhör“ von Ryszard Bugajski in der Reihe „Frauenbilder im polnischen Film“
„Ich habe meine ganzen Emotionen in diese Rolle gesteckt“, erinnert sich Krystyna Janda an ihre Darstellung der Titelfigur Antonina in dem Film „Das Verhör“, der am Dienstag abend in den Hackeschen Höfen die Reihe zum „polnischen Frauenbild“ eröffnete. Antonina ist eine Kindfrau, naiv, verletzlich und voller Sehnsüchte. Ein gelbes Minikleid glitzert an ihrem schmächtigen Körper. „Ich bin ein Engel und ein Biest“, trällert sie den Soldaten auf einer Veranstaltung zum 34. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens verführerisch zu. Die Armisten klatschen im Takt, Antonina stöhnt. Eine lustvolle Frau als Präsentkorb für die Partei.
Der betont leichte Anfang des Films ist eine Farce. „Das Verhör“ entwickelt sich zu einem musterhaften Beispiel stalinistischer Repression im Polen der 50er Jahre. Die betrunkene Antonina wird nach der Feier in ein politisches Gefängnis verschleppt und der Sabotage und des Verrats bezichtigt. Was folgt, ist ein zweijähriges Martyrium: Verhöre, Folter und sexuelle Belästigung.
Die Szenen, in denen diese Prozeduren sozialistischer Strafverfolgung gezeigt werden, setzen auf Beklemmung. Der Regisseur begrenzt nicht nur den Raum, sondern auch die Farbe.
Ratten, Wasser und Fäkalien. Dem Schmutz gegenüber steht in polnisch-katholischer Manier das Engelsgesicht von Antonina. Schon fast durchsichtig, hält sie den Verhören stand, folgt ihren moralischen Prinzipien, ihrer Seele und weist so jede Schuld und jeden Verrat von sich. Die Hure als Heilige.
„Wir wußten damals, daß wir mit diesem Film mit dem Feuer spielten“, sagt Krystyna Janda auf der Diskussionsveranstaltung nach der Aufführung, „aber mit so einer harten Zensur hatten wir nicht gerechnet.“ Ryszard Bugajski drehte „Das Verhör“ zu Beginn der 80er Jahre in Polen kurz vor Ausrufung des Kriegszustandes. Obwohl der einflußreiche Andrzej Wajda im Rahmen seiner Filmgruppe X das Projekt unterstützte, wanderte „Das Verhör“ als „antikommunistischster Film in der Geschichte der Volksrepublik Polen“ zunächst für zehn Jahre ins Regal. Bugajski wurde zwangsemigriert und ging nach Kanada.
Zur Uraufführung kam es erst 1989 in Polen. 1990 gelangte der Film nach Cannes. Krystyna Janda wurde für die Rolle der Antonina mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Seitdem gilt, betonte Janda bei dem Gespräch, auch das gleichnamige Buch „Przesluchanie – Das Verhör“ in Polen als Pflichtlektüre. Allerdings halten die Jugendlichen die Geschichte Antoninas für einen Science-fiction-Roman. „Die jungen Leute können nicht an solche Erlebnisse glauben“, sagt Krystyna Janda, „weil ihre Eltern sie zu schnell vergessen haben.“ Katja Hübner
Weitere Termine: 7. 5: Filmtheater Potsdam, 19 Uhr; 8. 5.: Hakkesche Höfe 11, 20 und 22.30 Uhr; 8. 5.: Filmtheater Potsdam, 17 Uhr; 9. 5.: Filmtheater Potsdam, 21 Uhr
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