„Sollen sie mich als Narren ansehen!“

■ Ulrich Görlitz diente freiwillig in Hitlers Armee. Heute engagiert er sich gegen den Kosovo-Krieg

Das also ist Frieden. In der Maisonne spielen Kinder, ein Rentner wäscht seine Auto, der Himmel ist blau, die Vögel zwitschern, es ist still. Über dem Briefkasten von Ulrich Görlitz aber droht der Krieg: Auf Postern der Bürgerinitiative „FREIe HEIDe“ donnern tieffliegende Bomber über die Kyritzer-Ruppiner-Heide in Brandenburg – das kennt Görlitz noch von früher: aus seiner Zeit als Freiwilliger in der Wehrmacht.

Doch der Leutnant der Reserve in Hitlers Armee will heute nichts mehr mit Krieg zu tun haben, vor allem nicht mit dem auf dem Balkan. Wie auf einer Wanderung durch die Heide hat der weißhaarige Rentner seinen Pullover um die Hüften gebunden. Am Eßtisch kramt er ein Diskussionspapier für seine Bürgerinitiative hervor: „Keine Bomben – nirgends!“ hat er es überschrieben: „Wir müssen auf eine internationale Ächtung von Bomben und Raketen hinwirken.“ Der 71jährige explodiert fast vor seinem Bücherregal, einer kleinen Bibliothek von Friedensliteratur: „Die Deutschen sehnen sich zurück: Es muß mal wieder Krieg sein.“ Sein weißer Bart zittert leicht: „Da wollen sie wieder fürs Vaterland sterben – die Armleuchter.“ Entgeistert schlägt er die Hände überm Kopf zusammen.

„Pro patria mori – fürs Vaterland sterben“, das wollte der ehemalige Lateinlehrer, geboren in Breslau, nie. Aber er habe sich eben 1944 zur Armee gemeldet, um der Einberufung durch die Waffen-SS zu entgehen, erzählt er. In Polen hat er ein Maschinengewehr bedient – er sagt, er weiß nicht, ob er jemand getroffen hat.

An der Oder wurde er dann verwundet, ein Wadendurchschuß. Kaum genesen, kam er noch mal an die Front, ergab sich aber mit seiner Einheit Anfang Mai 1945 bei den Briten. Den 8. Mai 1945, das Kriegsende, erlebte er als Kriegsgefangener. Erleichtert war er nicht, auch wenn „wir froh waren, daß wir den Schmonzes hinter uns hatten“. Denn erst 1950 kam er aus der Gefangenschaft: Der Krieg habe ihm die „Jugendjahre gestohlen“. Jetzt blitzen die Augen des sanften Mannes.

Nach dem Krieg fand er nur langsam zur Friedensbewegung, 1979 trat er nach 23 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD aus, weil Kanzler Schmidt den Nato-Doppelbeschluß und den „Einstieg in die Plutoniumwirtschaft“ durchdrücken wollte. Seitdem war er in Friedensgruppen aktiv, hatte zwei Prozesse wegen Aktionen in Mutlangen, spricht aber von der Friedensbewegung gegen die „Nachrüstung“ und den Golfkrieg distanziert: Die sei nur so stark gewesen, da viele Angst gehabt hätten, selber in Gefahr zu sein. Heute versteht sich Görlitz als „überzeugter Anarchist“. Die Gewalt im Alltag müsse vermindert werden, auch die Staatsgewalt, denn die sei seit Adenauer immer mehr: Gewalt. „Der Staat kann bloß kaputtmachen.“ Die Maiglöckchen wippen in der Vase auf dem Tisch.

Mit seinen Ansichten, so räumt Görlitz ein, sei er in dieser Wohngegend eher die Ausnahme. Manches Anti-Bundeswehr-Poster über dem Briefkasten habe man ihm schon abgerissen. „Sollen sie mich doch bloß als Narren ansehen. Werden sehen, ob sie selbst nicht welche sind.“ Der Ex-Leutnant versteht vieles nicht mehr. Andreas, sein ältester Sohn, war acht Jahre Sanitäter bei der Bundeswehr. Als Freiwilliger. „Es ist sein Leben“, sagt der alte Anarchist. Philipp Gessler