Hoffnung auf den neuen Gründerboom

Vor den zweiten „Deutschen Existenzgründertagen“ am Wochenende setzen die Politiker auf das Prinzip Hoffnung. Auf der anderen Seite stehen Gewerbeabmeldungen, Scheinselbständigkeit und abgelehnte Kredite  ■   Von Tobias Hinsch

Bereits seit Jahren sind sie die großen Hoffnungsträger: die jungen Existenzgründer. Auf ihnen ruht die erwartungsvolle Aufmerksamkeit von Politikern und Wirtschaftsexperten. Mit Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft sollen sie der angestaubten Wirtschaft der Hauptstadt neuen Glanz verleihen und langfristig neue Arbeitsplätze schaffen.

Die Lage ist in der Tat nicht rosig. Seit 1990 wurden in Berlin mehr als 280.000 Arbeitsplätze in der Industrie vernichtet. Auch die Wirtschaftsdaten des vergangenen Jahres verweisen auf eine bedenkliche Entwicklung: Während die Wirtschaftsleistung, gemessen am realen Inlandsprodukt, bundesweit um 2,8 Prozent stieg und die alten Bundesländer gar den höchsten Anstieg seit der Wiedervereinigung verzeichneten, mußte Berlin als einziges Bundesland einen Rückgang hinnehmen. Die Folge: Die Arbeitslosenquote lag im März bei 16,8 Prozent, bei den unter 25jährigen ist sogar jeder vierte ohne Job.

Vor diesem Hintergrund finden an diesem Wochenende auf dem Messegelände unter dem Funkturm die zweiten „Deutschen Existenzgründertage“ statt, mit denen die Träger, Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner und Brandenburgs Wirtschaftsminister Dr. Burkhard Dreher, Berlins „Gründungskompetenz bundesweit transportieren“ wollen. Für sie ist Berlin bereits ein Gründermekka, liegt es doch bei den Gewerbeanmeldungen im Bundesdurchschnitt vorne.

Bleibt die Frage, ob diese Zahlen wirklich die große Gründungswelle belegen. Tatsächlich konstatiert das Statistische Landesamt für das vergangene Jahr 31.080 Gewerbeneugründungen, allerdings 5,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Demgegenüber stehen 26.740 Gewerbeauflösungen, etwas mehr als 1997. Bleiben mehr als 4.000 neue Gewerbe, wobei die Abschwächung des Anstiegs eine Konsequenz aus der Hochphase nach der Wende ist.

Viele neue Existenzen bedeuten jedoch nicht zwangsweise auch viele neue Arbeitsplätze. Erst nach einer Phase von drei bis fünf Jahren ist abzusehen, ob ein neues Unternehmen am Markt bestehen kann. Außerdem ist wahrscheinlich, daß bei der Abmeldung eines Gewerbes mehr Arbeitsplätze verlorengehen, als ein neues Gewerbe schafft. Dafür spricht der hohe Anteil von 70 Prozent, den Einzelunternehmungen an den Gewerbeanmeldungen ausmachen. Darin enthalten sind weiterhin alle jene, die nach der neuesten Gesetzgebung nur noch als scheinselbständig gelten – ein weiterer Wermutstropfen für die Gründerzahlen.

Gleichwohl bleibt es das erklärte Ziel der Politik, so Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner,„noch mehr Berliner zum Gang in die Selbständigkeit zu ermutigen“. Besonders neue Unternehmensfelder wie die Informations- und Kommunikationsbranche, Medizin- und Biotechnologie gelten als innovativ und zukunftsträchtig. „Die Zahl der Existenzgründungen in diesen Bereichen ist zwar geringer als in den Bereichen Diensleistungen und Handel“, sagte Patrik Kastner von der Investitionsbank Berlin (IBB). Andererseits würden diese Firmen aber „in der Regel deutlich mehr Arbeitsplätze schaffen“.

Für angehende Selbständige steht eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten bereit; 800 staatliche Förderprogramme hat allein die Datenbank des Bundeswirtschaftsministeriums gespeichert. So helfen die „Investorenleitstelle“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft oder das „Existenzgründerinstitut“ bei der Planung und Finanzierung von Unternehmungen.

„In der Regel stellt die Finanzierung das Schlüsselproblem dar“, erfaßt Egbert Steinke von der IHK die Sorgen der Existenzgründer. Dabei ist Geld vorhanden: Allein im Zukunftsfonds der IBB liegen 120 Millionen Mark für junge Unternehmen bereit. Das speziell an Arbeitslose gerichtete Programm ARP umfaßt weitere 12 Millionen Mark. Nur wird leider nicht jeder Antrag auch bewilligt: Waren es 1998 bei ARP knapp über die Hälfte, so konnten sich über Förderung aus dem Zukunftsfonds seit September 1997 nicht einmal zehn Prozent der Antragsteller freuen. Und das, obwohl die IBB als landeseigenes Institut „aus politischer Verantwortung mehr Risiko eingeht als andere Banken.

Obwohl Berlin beim Wachstum an letzter Stelle liegt, sieht der Wirtschaftssenator die Stadt bereits als „Gründermekka“