Kindheitsmuster, Kuscheltiere

Regressionsräume revisited: Die Berliner Ausstellung „Rosa für Jungs – Hellblau für Mädchen“ zeigt erwachsenengerechte Kunstkinderzimmer  ■   Von Brigitte Werneburg

Sollte man in bester Berliner Paech-Brot-U-Bahn-Werbungs-Manier reimen? „Zwei Objekte, erkennbar ein Paar. Ein Bub und ein Mädel. Das ist doch ganz klar“? Nun ja. Es handelt sich eben um einen doofen Trick, der dennoch verfängt. Genauer gesagt um eine simple, aber sehr effektive Installation. Sie besteht aus zwei Würfeln, die mit einem Karomuster aus hellblauen, rosaroten und pastellgelben Streifen bemalt sind und in deren Seitenflächen je eine ausgestanzte Form sichtbar ist. Beim einen Würfel dominiert das Hellblau, beim anderen das Rosa, wobei durch die Öffnungen das Würfelinnere einfarbig blau beziehungsweise rosa durchschimmert. Daß die ausgestanzten Formen im blauen Fall eckig, im rosafarbenen aber rund sind, verwundert schon nicht mehr.

Eher könnte es verwundern, daß in der Gruppenausstellung, in der Susanne Paeslers unbetitelte Objekte zu sehen sind, „Rosa für Jungs – Hellblau für Mädchen“ steht. Die Verwechslung wird von einer siebenköpfigen Arbeitsgruppe Berliner KünstlerInnen und KuratorInnen betrieben, die in den Räumen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst und des Kunstamtes Berlin-Kreuzberg dem Thema Kindheitsmuster nachsetzt. Kindheitsmuster, die – Paeslers Kunstspielzeug weist den Weg – Farbmuster sind, die Geschlechtsmuster sind. Daß die Ordnungsmuster ein wenig durcheinandergeraten sind, ist heute Standard.

Das schmälert das Konzept keineswegs. Im Gegenteil, die richtige Ordnung einzuhalten hieße, hinter den Stand der Dinge zurückzufallen. Die Frage ist also eher: Was kommt im neuen Durcheinander zum Ausdruck? Zunächst natürlich Durcheinander. Prägnant haben es Helena und Cecilia Bergman in sechs Fotografien auf den Punkt gebracht: „The Floor of Cecilia, Helena, Rachel and Klara“. Wahrscheinlich läßt sich kürzer eine Aussage über das Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern in den Industrienationen am Ende unseres Jahrhunderts nicht machen.

Auch in den Sphären von Erwachsen- oder Kindsein gibt es eine Art Rosa/Hellblau-Verwechslung. Während in der Werbung kleine Mädchen zu Frauen hochgestylt werden, wie es die Fotografien von Inez van Lambsweerde in der Ausstellung eindrücklich zeigen, bauen Künstler wie etwa Cathrine Bourdon gerne Kinderzimmer, oder sie ballen wie Mike Kelley Kuscheltiere zu gigantischen Knäueln zusammen. Von letzterem ist das gemeinsam mit Paul McCarthy produzierte, ziemlich eklige und im wahrsten Sinne beschissene Alpen-Videodrama „Heidi“ in der Ausstellung zu sehen. Einiges hübscher zeigt sich das Spiel mit den Regressionswünschen der Erwachsenen im Video „Peter Friedl“. Der Künstler bat Museumsangestellte, ihm zu sagen, welches Tier sie gerne geworden wären, und fertigte entsprechende Löwen-, Einhorn- oder Elefantenkostüme an, die anschließend den Besuchern seiner Ausstellung im Palais des Beaux Art in Brüssel angeboten wurden, damit sie sich verkleiden konnten.

Verkleidet hat sich auch Ingo Taubhorn. Er stellte das Spiel nach, das kleine Mädchen spielen, wenn sie in die Kleider der Mutter schlüpfen. Da es bei ihm aber ein sehr erwachsenes Spiel ist, gerät die Performance zu einer rücksichtslosen Hommage an die biedere Frau. Sein Begehren, die Mutter zu sein, das ohne den Schleier des Glamour auskommen muß, erweist sich als eine bis ins Detail sorgfältig arrangierte und hervorragend fotografierte Serie von Selbstporträts, die eine der besten Arbeiten der Ausstellung ist. Und dabei haben die Ausstellungsmacher durchaus eine ganze Menge guter, wenngleich auch schon bekannter Arbeiten zusammengetragen. Ziemlich lässig hängt zum Beispiel Sally Manns Doppelporträt von „Jessie as Jessie“ und „Jessie as Madonna“ in Augenhöhe eines zehnjährigen Kindes an der Wand. Oder man findet sich vor der von Aura Rosenberg konzipierten Fotoserie „Wer bin ich, Was bin ich, Wo bin ich“ wieder. Mit der Künstlerin befreundete Künstler wie Mike Kelley, Dan Graham oder Sue Williams haben hier deren Kinder verkleidet und besonders Carmen herausfordernd sexy geschminkt.

Vor allem in dieser Arbeit scheint das Thema gebündelt, das „Rosa für Jungs – Hellblau für Mädchen“ insgeheim dominiert – wie nämlich Kindheitsmuster mit Glamour und Sex verwoben sind. Freilich scheinen sie hier nur mit weiblicher Kindheit verbunden zu sein. Allein Die Tödliche Doris, die 1980 mit dem dreijährigen Oskar Dimitroff „Das Leben des Sid Vicious“ verfilmte, oder Manfred Erjaut, der mit Legostein-Nachbauten der üblichen Kinderbewaffnung von Pistole und Gewehr Aufmerksamkeit zollt, wissen noch etwas vom gefährlichen Glanz, der vornehmlich männlichen Kinderspielen anhaftet. Bis 13. 6., NGBK und Kunstamt Kreuzberg, Katalog 25 DM.