Rugova bewachen jetzt italienische Scharfschützen

■ Der gemäßigte Führer der Kosovo-Albaner darf mit seiner Familie nach Italien ausreisen. Erstes Treffen mit Premier D'Alema. Die Nato ist nicht zu Konzessionen an Milosevic bereit

Slobodan Miloevic schwenkt den Olivenzweig – jedenfalls in einer Hand. Nach der Übergabe der drei kriegsgefangenen US-Soldaten an den US-Bürgerrechtler Jesse Jackson am vergangenen Wochenende ließ er nun den Albanerführer Ibrahim Rugova samt seiner Familie ausreisen. Jugoslawiens Präsident hat damit eine Forderung der Nato-Staaten erfüllt. Denn bisher hatte es in London, Bonn, Brüssel und Washington unisono geheißen, Miloevic halte Rugova seit Kriegsbeginn am 24. März als Geisel unter Hausarrest. Gestellt wirkende Fernsehauftritte Miloevic' mit Rugova, teilweise ohne Ton, sprachen für diese Version. Ebenso ein Bericht der Spiegel-Korrespondentin Renate Flottau, die sich zu Beginn des Krieges fast eine Woche mit Rugova in seinem Haus in Pritina aufhielt.

Der 54jährige Künstler und Professor, seine Frau Fane und seine drei Kinder waren am Mittwoch abend an Bord der italienischen Sondermaschine „Falcon“ in Rom gelandet. Anstatt zur Presse sprach Rugova dann zuerst mit Italiens Präsidenten Massimo D'Alema – und dabei blieb es vorerst. Erst gestern abend wollte er sich auf einer Pressekonferenz öffentlich erklären. Die italienische Tageszeitung La Repubblica wußte gestern zu berichten, Rugova habe nach seiner Ankunft in Rom „klare Signale“ aus Belgrad gefordert. Zudem habe er sich für die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe im Kosovo ausgesprochen.

Die italienische Regierung hat die Familie im staatlichen Gästehaus Casino dell'Algardi untergebracht. Es wird von Scharfschützen bewacht. Für eventuelle Fahrten stehen den Gästen gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung. Darüber, warum Miloevic Rugova ausgerechnet nach Italien ausreisen ließ, konnte gestern nur spekuliert werden. Offiziell hieß es aus Rom nur, der Aktion sei am Dienstag ein Telefonat zwischen dem italienischen Außenminister Lamberto Dini und Miloevic vorausgegangen. Beobachter mutmaßten, Jugoslawiens Präsident hoffe auf einen mäßigenden Einfluß der ohnehin nicht kriegsbegeisterten italienischen Regierung auf die Nato. Und die Ausreise nach Rom sei ein Signal, weil Italien im Falle eines Bodenkriegs zentrales Aufmarschgebiet der Truppen würde. Der italienischen Regierung scheint die ihr von Miloevic zugedachte Rolle jedoch nicht ganz geheuer zu sein. Italienische Zeitungen zitierten Regierungschef D'Alema gestern mit den Worten, Jugoslawiens Präsident dürfe nicht die Chance gegeben werden, Italien als Werkzeug für die Spaltung der Nato zu gebrauchen.

Sowohl Rugovas Demokratische Liga des Kosovo (LDK) als auch die rivalisierende Kosovo Befreiungsarmee (UÇK) waren über die Freilassung völlig verblüfft. „Die Ankunft Rugovas in Rom hat uns sehr überrascht“, zitierte das italienische Fernsehen einen UÇK-Sprecher. LDK-Sprecherin Donika Gervalla wußte nur zu berichten, die Auslandsführung der Partei sei auf dem Weg nach Rom, „um die Lage zu bewerten“.

US-Präsident Bill Clinton nannte die Freilassung des albanischen Politiker gestern eine „positive Entwicklung“. Rugovas Freilassung könne ein Zeichen des jugoslawischen Präsidenten sein, langsam die Bedingungen für eine Lösung im Kosovo-Krieg zu akzeptieren. Auch die französische Regierung begrüßte die Ausreise von Rugova. Nun solle versucht werden, mit ihm Kontakt aufzunehmen, hieß es aus dem Außenministerium in Paris. Nato-Sprecher Jamie Shea erklärte während seiner täglichen Pressekonferenz in Brüssel, er sei dankbar dafür, daß Rugovo, „der viel gelitten hat“, ausreisen konnte. Wem sein Dank gilt, sagte er nicht.

Eine klare Absage an nun eventuell fällige Gegenleistungen der Nato an Miloevic kam aus Washington. Außenamtssprecher James Foley erklärte, trotz jüngster Gesten des guten Willens des jugoslawischen Präsidenten werde das Bündnis „keinen Deut“ von seinen Forderungen abrükken. Thomas Dreger