Lagerkoller und kaum noch Hoffnung

Die kosovarischen Vertriebenen in Makedonien dürfen die überfüllten Flüchtlingslager nur mit Genehmigung und für ein paar Stunden verlassen. Das Wasser ist knapp, die Versorgung mit Lebensmitteln notdürftig und die Angst um im Kosovo Zurückgebliebene groß.  ■   Aus Tetovo Erich Rathfelder

Am Anfang war nur Schlamm. Trotzdem wurde dieses weite Feld, acht Kilometer von der makedonischen Stadt Tetovo entfernt an der Straße zur Grenze nach Kosovo hin gelegen, zum Platz für eines der ersten Flüchtlingslager ausersehen. Und in nur 48 Stunden haben deutsche Pioniereinheiten vor sechs Wochen den Platz mit Kieselsteinen aufgeschüttet, Zelte eingeflogen und aufgestellt, eine Kantine errichtet, ein Hospital aufgebaut. Toilettenhäuschen und Duschcontainer komplettierten die Einrichtung dieses für 5.000 Menschen geplanten Lagers.

Es waren die Vertriebenen aus der Hauptstadt des Kosovo, aus Pritina, die hier Aufnahme fanden. Und sich glücklich schätzten, nach dem Schock der Vertreibung, nach der Angst, dem Warten an der Grenze, dem Wind, dem Regen und Schneetreiben, wenigstens eine trockene Unterkunft gefunden zu haben.

Doch inzwischen ist die anfängliche erleichterte Freude verflogen. Die warme Frühjahrssonne heizt die Zelte unerträglich auf. Die Kieselsteine reflektieren die Sonnenstrahlen. Überall im Lager drängeln sich die Menschen. Über 7.500 Personen sind nun hier in das Areal eingesperrt, das von einem hohen Drahtzaun umgeben ist. An den Eingängen stehen makedonische Polizisten und halten Wache, um das Lager herum sind bewaffnete Polizisten postiert.

Alltag ist eingekehrt im Lager. Die Menschen stehen in Trauben, reden oder hören den Nachrichten aus den Transisterradios zu. Einige haben noch Handys. Noch in den ersten Tagen nach der Flucht konnten sie das makedonische Netz mit ihren serbischen Handys nutzen. Die serbische Telefongesellschaft wird wohl nie mehr das damals vertelefonierte Geld eintreiben können. Die kleine Rache war süß, aber nur von kurzer Dauer. Die Verbindungen wurden gekappt.

Einer, der in diesem Lager ausharrt, ist Izet Raifi. Er ist ein unduldsamer Mensch geworden. Der 35jährige ehemalige Koch aus Pritina lebt mit seiner Frau und den sechs Kindern, seinen Schwägerinnen mit deren Kindern und den Eltern in dem Zelt, das seiner Famile zugewiesen wurde. Insgesamt 18 Personen sind es, die Platz finden müssen.

Sorgsam säubert Raifis Frau den Boden. Nach albanischer Tradition sind die Schuhe feinsäuberlich neben dem Zelteingang abgestellt. Im Zelt liegen Schaumstoffmatratzen, die Decken sind in einer Ecke gestapelt. Entschuldigend zuckt der Man mit den Achseln. Er könne dem Gast keinen Kaffee anbieten, wie es sich eigentlich gehören würde. „Wir haben nicht einmal das Nötigste.“

Das Essen sei schlechter geworden, seit die deutschen Nato-Truppen aus dem Lager abgezogen sind und die US-amerikanische Hilfsorganisation IRC die Organisation der Verpflegung übernommen hat, klagt er. Er deutet auf die Dosen mit Thunfisch. „Schauen Sie sich den Jüngsten an, der ist ganz blaß, es fehlt an Vitaminen.“

„Geschirrspülen und waschen ist auch ein Problem“, sagt Fatmira. „Nur einmal täglich kommt der Tanklastwagen mit dem Wasser, das ist nicht genug.“ Die Leute drängelten sich, um wenigstens eine der Plastikwannen füllen zu können, manche gingen leer aus. Kleidung hätten sie keine erhalten. Izet deutet auf die Plastiksandalen, die ihm geblieben sind. „Wir haben nur noch das, was wir auf dem Leibe tragen.“

Der Lagerkoller greift um sich. Ständig mit Menschen zusammenzusein, niemals einen Ruhepunkt zu haben, macht auch Izet zu schaffen. Vor allem aber, daß er nichts, aber auch gar nichts machen kann, um die Lage zu verändern. „Um aus dem Lager zu kommen, müssen wir einen Tag vorher einen Passierschein beantragen. Und der ist auf drei bis vier Stunden begrenzt.“ Was dann tun, ohne Geld? Nicht einmal zu den Botschaften nach Skopje können sie noch fahren. Die Hoffnungen, in andere Länder transferiert zu werden, schwindet mit jedem Tag.

„Alle wollen nur zurück, wenn die Serben nicht mehr im Kosovo herrschen.“ Aber Izet ist pessimistisch geworden. Es wird wohl keine Nato-Bodentruppen geben. Bombardiere die Nato lediglich weiter, sagt er, ändere sich an der Lage der Vertriebenen nichts. „Miloevic spielt auf Zeit, er weiß, wenn die Leute Monate hier sind, haben sie keine Kraft mehr, zurückzukehren. Dann kommt auch noch der Winter.“

„Wir Kosovaren leben hier wie im Kosovo in unterschiedlichen Arten von Konzentrationslagern“, sagt einer, der seinen Namen nicht sagen will. Er kam erst vor fünf Tagen aus der Stadt Gllagocc (serbisch: Glagovac), die von serbischen Truppen umschlossen sei. Tausende von Menschen lebten noch dort. „Es gibt aber nichts zu essen mehr. Die Leute hungern.“

Nach einigen Berichten der BBC über die Lage dort hätten die serbischen Polizisten Busse zur Verfügung gestellt, sagt er. Alle mußten erklären, sie verließen freiwillig die Stadt. 150 Menschen seien an die Grenze gebracht worden, nachdem sie 50 Mark bezahlen mußten. Wer kein Geld hatte, kam nicht mit. 40.000 Menschen sollen noch in der eingeschlossenen Stadt leben. In den Bergen von Brenica werde gekämpft. „Wir konnten die Artillerie hören, die Schießereien. In Glogovc brauchen sie nicht zu schießen. Die Leute werden an Hunger sterben.“

An die Katastrophe dort denkt auch Gerold Hamann, der Koordinator der Humanitären Hilfe der Johanniter Unfallhilfe. „Leider kommen wir ins Kosovo nicht rein.“

Die Hoffnung, die Nato-Bomben würden Miloevic zum Nachgeben zwingen, ist nicht nur bei den Vertriebenen verflogen. Die humanitären Organisationen richten sich darauf ein, die Flüchtlinge über einen längeren Zeitraum betreuen zu müssen.