Christian Geissler (k) oder: Radikal-Literatur im Orkus

■ Ehren und vergessen, so „wendet“ der Literaturbetrieb den kommunistischen Autor Geissler / 70 Jahre alt ist er, seine Romane „Das Brot mit der Feile“ und „kamalatta“ waren in der linken Szene lange Zeit ein Muß. Heute sind sie nicht mehr lieferbar

„Die einfachste Art einen Schriftsteller zu töten, ist, ihn nicht zu drucken“, meinte der Autor Walter Mehring. Dieses Schicksal droht jetzt Christian Geissler. Aus Anlaß seines siebzigsten Geburtstages erhielt Geissler den Niedersächsischen Staatspreis für Literatur für sein Lebenswerk verliehen. Der Haken: Geisslers Lebenswerk ist vergriffen.

Ein klammheimlicher Sieg des „packs“, wie Geissler die Vollstrecker des imperialistischen Kapitalismus zu nennen pflegte? Darf man sich denn heute noch guten Gewissens „Kommunist“ nennen? Geissler tut es jedenfalls und besteht auf dem (k), sprich: kommunist, in seinem Namen. Dieses kryptisches Zeichen scheint aber eher eine Trotzreaktion gedacht zu sein, denn als Ausdruck eines verbindlichen, ideologischen Standpunktes. „Das Zentralkommitee einer orthodoxen kommunistischen Partei hätte mich längst an die Wand gestellt“, so der Dichter.

Geissler hat seinen Kommunismus nicht als Apparatschik gelernt. Er hat seinen Kommunismus als Herzensangelegenheit endeckt bei den ArbeiterInnen aus Hamburg oder Dortmund, die – gegen den Willen ihrer Parteifunktionäre – im militärischen Widerstand gegen Hitler ihr Leben riskiert haben. Kommunismus, das steht bei Geissler synonym für Widerstand gegen den Faschismus. Geissler ist Sohn eines überzeugten Nazis, hat als Flakhelfer Faschismus selbst körperlich erlebt. Zu Zeiten, in denen antiimperialistischer Kampf noch kein sprachliches Blindmaterial war, politisierte sich auch Geissler in Aktionen zum Beispiel gegen den Ausverkauf Guatemalas an die amerikanische United Fruit Kompanie oder die amerikanische Okkupation Vietnams. Geissler gehörte zu den Mitbegründern und Organisatoren der Ostermärsche. Ende der siebziger Jahre widmete er sich fast auschließlich der Betreuung politischer Gefangener. Er nahm am Hungerstreik der RAF teil, um so die Zusammenlegung der Inhaftieren zu „interaktiven Gruppen“ zu erzwingen.

Heute, mit siebzig, ist Geissler verzweifelt. Er sagt, ihm fehle die Freude am Leben. Der messerschafe Blick des Spracharbeiters wird ihm verstellt von den Monumenten des „Feindes“. Die berufliche Hoffnungslosigkeit der Jugendlichen in seinem Dorf Aaltuikerei im ostfriesischen Rheiderland etwa. Die zunehmende Gewalt gerade unter den Judendlichen und ihre Mißachtung der eigenen Person durch permanente geistige, seelische und körperliche Selbstvestümmelung lassen den Autor zunehmend resignieren.

Trotzdem: Das zentrale Thema des Geisslerischen Lebenswerkes ist kämpferisch. Widerstand, wie er sich aus der Bedrohung des Einzelnen entwickelt und als solidarische Aktion militant wird, dies hat Geissler in seinen wichtigsten Romanen, „Wird Zeit, daß wir leben“, „Das Brot mit der Feile“ und „kamalatta“ exemplarisch ausformuliert. Alle drei Romane sind vergriffen. Unzeitgemäße Gedanken in einem Land, in dem die Forderung „Nie wieder Krieg“ umgedichtet ist in: „Ein bißchen Krieg muß sein“?

„Was trieb Deutsche dazu, Völker zu überfallen und industriell Menschen abzuschlachten?“ Dieser Frage spürt Geissler in seinem ersten Roman „Die Anfrage“ (1960, bei rotbuch neu aufgelegt) nach. Damit gehört er zu den wenigen Autoren, die sich zu dieser Zeit intensiv mit der deutschen Nazigeschichte auseinandersetzen. Geissler sucht nicht nur in seinem Roman nach orientierenden Antworten. Er fängt an, Psychologie zu studieren, bricht wieder ab. Er versucht sich in verschiedenen Berufen. Er konvertiert zum Katholizismus. Diese bis an Rastlosigkeit grenzende Suche wird Geissler sein ganzes Leben begleiten. Er geht lieber, als daß er bliebe.

Nach der „Anfrage“ werden Geisslers Schriften aggressiver. „Wir“, das sind jetzt die KämpferInnen, ProletarierInnen, die, die Widerstand leisten. Die anderen sind das „Pack“, die Unterdrücker, Kapitalisten. Diese glatte Einteilung der Gesellschaft ist nur durch die damalige Zeit zu erkklären, in der einige glaubten, die Revolution stünde in Deutschland vor der Tür. Geissler fühlt sich mitgerissen. Dreht zahlreiche „aufklärerische Filme“ für das NDR-Magazin „Panorama“. Für ihn selbst allerdings ist das „ich“ entscheidener als das „wir“. Obwohl Geissler das solidarische „wir“ mit fast religiösem Eifer postuliert, zieht er sich lieber in die Einsamkeit Schottlands zum Scheiben zurück, als in verqulamten Wohngemeinschaften klandestine Umsturzpläne zu diskutieren.

Mit „Wird Zeit, daß wir leben“ legt Geissler einen Roman vor, der den Arbeiteraufständen in Hamburg Ende der zwanziger Jahre ein Denkmal setzt. Geissler nimmt sich Peter Weiß „Die Ästhetik des Widerstandes“ als Stimulanz für die eigene Arbeit. Er differenziert und aktualisiert den Begriff des Widerstandes und stellt die Frage: Wann muß, wann darf eine Opposition die Unterdrücker, Ausbeuter, Imperialisten, eben das „pack“ militärisch angreifen? „Es geht um's Leben“, dieses oft formulierte Kampfziel, bezieht Geissler nicht auf schieres Überleben. „Wir werden Menschen sein“, keine geknechtete Masse.

Leserbriefschlachten in der taz dokumentieren die endlosen Diskussionen über die „Gewaltfrage“ . In deren Verlauf wird der vermeintliche Unterstützer der RAF, Christian Geissler, von antifa-Gruppen als „Verräter“ gebrantmarkt. Geissler hatte in einem komplizierten Gedicht an eine RAF-Inhaftierte Ungeheuerliches gesagt. Er hatte der RAF vorgeschlagen, den bewaffneten Kampf zu beenden. „Wir brauchen euch – lebend und bei uns, nicht im Knast oder Grab“, lautete sinngemäß sein Appell. Die Antifa-Szene schloß ihn daraufhin aus dem „Kommunikationszusammenhang“ aus. Bis heute schmerzt Geissler dieser Platzverweis. Das Ende der RAF, der Niedergang des institutionalisierten Kommunismus raubte Geissler schließlich die Hoffnung auf ein handelndes revolutionäres Subjekt: „Wir“ – ist nicht mehr.

Geisslers Schreibweise beansprucht, eine adäquate Sprache des Widerstandes zu sein. Assoziationen, Montagen, Sprünge, Wortreihungen verhindern die Hingabe an eine Geschichte. Die LeserInnen müssen sich „ihre“ Geschichte selbst zusammensetzen. Das verschreckt. Es zwingt zur Selbstüberprüfung, zur Parteinahme. „Sprache mit Schatten“, diesen Begriff benutzt Geissler um seine Texte zu beschreiben: Sprache konkret, parteilich und resistent gegen „Lügen“.

„Das Brot mit der Pfeile“ und auch „kamalatta“ vervollständigen Geisslers persönliche Triologie einer „Ästhetik des Widerstandes“. Glück, so die verbindende These, ist nicht individuell zu finden. Es wird „erarbeitet durch solidarische Aktion“, so Geissler. Aber, in dem Maße, in dem sich seine Sprache radikalisiert, der militante Widerstand als notwendige Reaktion auf die postfaschistische Gesellschaft beschrieben wird, in dem Maße nimmt die aktive politische Teilhabe des Autors ab.

Mit seinem letzten Roman „Wildwechsel mit Gleisanschluß“ scheint der Autor sich in selbstquälierischen Monologen zu verfangen. Dunkel, gebrochen, mit ver-ästelten Assoziationen versucht Geissler eine Geschichte aufzubauen, deren Handlung aber schwer nachzuvollziehen ist. Soviel: Über seinem Dorf schebt eine permanente Bedrohung. Die Menschen können sich dieser Bedrohung nicht mehr erwehren. Schon in seinem letzten Hörspielen hatte es sich angekündigt: Geissler bedient sich rhythmischer fast musikalischer Sprachgestaltung; im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten ist eine verbindliche Geschichte schwer zu erkennen.

Heute gibt der Dichter leise „klopfzeichen“. Dieser neue Band sammelt Gedichte aus den Jahren 1983 bis 1997 und ist bei rotbuch erschienen. Geissler, der schon mal neugierige Journalisten aus dem kleinen Häuschen hinter dem Deich weist, wenn sie Biographisches abfragen, gibt in „klopzeichen“ viel Privates preis. Da ist seine Liebe zu seiner ostfriesischen Wahlheimat. Hier wohnt der sich ständig auf dem Sprung befindliche schon so lange, wie an keinem anderen Ort.

Bis an den Rand der Sentimentalität feiert er in einem „Heimatgedicht“ das Rheiderland an der Ems. Zuerst erschien diese Ode in der lokalen Zeitung 'ungeisslerisch geschrieben', damit auch seine Nachbarn den Text verstehen konnten.

Geisslers vorerst letzter Ausreißversuch (diesmal nach Portugal) ist dokumentiert. Erkenntnis: Deutschland ist überall. In seiner Phantasie wird aus einem dörflichen Busbahnhof unversehens eine Sammelstelle für Juden, die ins KZ abtransportiert werden sollen.

Den Tod seiner Schwester, die er mit seiner Frau bis zum Schluß betreut hat, nimmt er zum Anlaß, sich mit seiner Beziehung zu ihr, zu ihrem und möglicherweise dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Still, zart, weich, intim – der Gedichtzyklus „meine schwester ist gestorben“ gehört für mich zu den schönsten und eindringlichsten Texten überhaupt. Sie zeigen, wie nah, genau und bewegend nicht-experimentelle Lyrik Sprache noch gestalten kann.

Dazwischen schlägt der alte Geissler wieder zu. Wütend, hassend, entschlossen und mißtrauisch zielt er auf „den Feind“: „euch kenn ich gut/ euch pack/ hätt ich mein messer noch/ flöß weißes blut“. Unversöhnlich zieht er das Fazit seines Lebens und seiner Arbeit: „was für ein volk/so fleißig/schmatzt es die schmiere/vom schönen tod/der lüge von oben.“ Thomas Schumacher