Einführung auf japanisch

■ Scheinbar unversöhnliches Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne: Die Solo-Oper „Genji Monogatari“ im Hebbel-Theater

Der charmante Prinz Genji verbringt seine ausgedehnte Freizeit damit, sich bei den unterschiedlichsten Frauen – Bäuerinnen, Prinzessinnen, Konkubinen, Dienstmädchen und sogar buddhistischen Nonnen – „einzuführen“. Vordergründig ist der Prinz die Hauptfigur des vor 1.000 Jahren geschriebenen mehrbändigen Klassikers der japanischen Literatur. Tatsächlich aber führt die Autorin, Shikibu Murasaki, ihn ein, um die verschiedenen – immer erschütternden und meist ungerechten – Schicksale der Frauen beschreiben und ihnen eine Stimme geben zu können.

Dies scheint auch dem 92jährigen Komponisten Yoritsune Matsudaira am Herzen gelegen haben. In der Solo-Oper „Genji Monogatari“, die auf dem Text von Murasaki basiert und im Hebbel-Theater zu sehen ist, läßt er nur eine einzige Sopranistin – Yumi Nara – für alle Frauen singen.

Mit lediglich zwei szenischen Bildern wird Spannung und Konzentration erzeugt: Bis zur Pause sitzt eine weibliche Figur mit langen schwarzen Haaren reglos mit dem Rücken zum Publikum. Später ist ihr Platz leer. Der Mond bescheint die Szene. Nur die Sopranistin bewegt sich auf der Bühne. Durch ihren intensiven Gesang und ihren fesselnden Ausdruck macht sie die komplexe Lebensdramatik der Frauengestalten sichtbar.

Über tausend Jahre alt ist auch die japanische höfische Musik „Gagaku“. Matsudaira führt sie mit westeuropäischer serieller Musik zusammen. Den drei Instrumentalistinnen in den traditionellen Kostümen an Mundorgeln und Koto steht das „Ensemble Erwartung“ unter der Leitung von Bernard Desgraupes gegenüber.

Scheinbar unversöhnlich treffen Tradition und Moderne aufeinander. Der Komponist verbindet sie, indem er die Oper immer wieder auf langgezogene Töne zurückführt. Das Ausgehaltene, Angehaltene ist der rote Faden.

Nur der Sängerin ermöglicht Matsudaira, sich frei zu bewegen. Sogar im Gesang. Von einer Note zur anderen hat er kleine Verzierungen gezeichnet, die die Sopranistin nach ihrem eigenen Gefühl interpretieren kann. Dies spricht für die ungeheure Sensibilität Matsudairas für die Hierarchie zwischen dem vorschreibenden, meist mänlichen Komponisten und der nachsagenden Sängerin. Indem er der Stimme der Frau einen eigenen Interpretationsspielraum gibt, spiegelt er die Freiheit, die sich die Autorin vor tausend Jahren genommen hat. In der Oper „Genji Monogatari“ wird auf keine Synthese von Gegensätzen verzichtet. Dies gibt ihr ihre ungeheure Intensität. Waltraud Schwab ‚/B‘ Heute, 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29