Daneben by nature

Institutionen des Berliner Nachtlebens und ihr unsentimentales Ende: Den Jungs vom beliebten „Gothic-Keller“ Galerie berlintokyo ist der Spaß am eigenen, tollen Quatsch vergangen. Ein Nachruf  ■   Von Gerrit Bartels

We'll never stop living this way: So heißt es bei Westbam und auch bei Rainald Goetz. Ein schöner und logischer Titel für einen Technotrack, ein schöner und nicht weniger logischer Schluß für ein Buch, das „Rave“ heißt. Alles Techno, Literatur, Zitatpop. Aber auch wirkliches Leben. Denn den richtigen Absprung zu finden im und aus dem Nachtleben, von dieser Schwierigkeit wissen viele ein Liedchen zu singen. Bloß die Betreiber der Galerie berlintokyo nicht. Zumindest haben sie beschlossen, in ihrem allseits beliebten, kleinen „Gothic-Keller“ in der Rosenthaler Straße 38 nicht alt und grau zu werden. Am kommenden Montag, auf den Tag genau drei Jahre nach Gründung und Öffnung, ist Schluß, das allerletzte Mal bitten sie in dieser Nacht zu Tanz, Bier, „Sexy an Eis“ (dem Hausgetränk) und schmutzigen Witzen.

Und das nicht, weil es gerade am allerschönsten war, sondern einfach so. Oder besser: „Weil wir in dem Raum eigentlich alles gemacht haben, was man da machen kann. Wir fingen uns an zu wiederholen und auf der Stelle zu treten. Mittlerweile haben wir alle ganz andere Interessen, und die sind für die Galerie allzusehr in den Hintergrund getreten.“ Spricht Vredeber Albrecht, einer der sechs Betreiber, an einem schönen Mainachmittag im Rosenthal, einem typischen Mitte-Café, in dessen Hinterhof sich der Galeriekeller befindet. Und das das Publikum der Galerie vor allem frequentierte, um für kleine Jungs oder Mädchen zu gehen und Zigaretten zu holen.

Und Philipp Reinfeld nennt weitere Gründe für das Ende: „Es stellte sich immer mehr die Frage, wer was wann wie organisiert. Das war auch am Anfang so, doch da störte es keinen, weil wir die ganze Galerie prinzipiell für uns machten, weil vor allem wir da ja hingehen wollten. Die Grundidee war, daß es einen Raum gibt, wo wir unseren Quatsch machen. In dem Moment, wo wir selbst keine Lust mehr hatten, da unten rumzustehen, war die Luft raus.“

Und genau so war es von Anfang an: Ausstellungen, Konzerte und Parties, erst organisiert zum eigenen Amusement, aber auch, um sich selbst künstlerisch auszutoben; und dann, um die Freunde damit zu erfreuen, den Förderkreis der Galerie, der mit fünf Mark pro Ausstellung (nie waren es mehr!) und dazugehörigem DJ-Set oder Bandset dabei war. Unter dem Label „Kunst für ein Ausgehpublikum“ lief dann der Laden die meiste Zeit, das Sublabel „Livemusik für Künstler, Trinker und die FreundInnen der Freunde“ gesellte sich fast immer dazu. Natürlich fand so was in Mitte nicht nur in der Galerie berlintokyo statt: Seit Jahren schon stehen bei jeder Ausstellungseröffnung zwei Plattenteller und drei DJs rum, auf ähnliche Art und Weise organisierte Galerien und Bars gibt es in jeder Straße in Mitte und Friedrichshain mindestens eine, und umgekehrt ist zum Beispiel das Maria am Ostbahnhof nicht nur reines Konzertvenue: Ausstellungen, Lesungen, Kleinkunstevents gehören hier zum wöchentlichen Programm.

Doch in der Galerie berlintokyo ging es immer etwas anders zu als anderswo. Man gab sich uncool, krude und daneben by nature. Hier konnten sich Leute wie der Gründer der sogenannten Wissenschaftsakademie, Rafael Horzon, mit Ausstellungen wie „Japan. Sex. Deutsch“ austoben, hier zeigte der Gründer des Erratik Instituts, Heinrich Dubel, seine seltsamen Fotos, hier schwang der Maler Lutz C. Pramann Hohes und Hohles in Büttenredenmanier. Gründerfeeling ohne Ende und mehr. Denn, nicht ganz unwichtig: Hier fand auch eine neue Berliner (Indie-)Musikszene ihre Heimstatt. Eine Szene, repräsentiert durch Bands wie Mina, Britta, Jeans Team, Minitchev oder die Pop Tarts. Die hatte in der Galerie mehr erste als letzte Auftritte, die erfand sich an Ort und Stelle immer wieder und tauschte sich aus.

Als drittes Besonderes meinen Philipp und Vredeber die „galerietypische Ironie“ anführen zu müssen. Zuletzt beispielsweise der Auftritt der eingangs erwähnten Goetz und Westbam. Da konnte man denken, die Jungs von der Galerie würden nun ihre letzten Weihen von den, wenn man so will, Großnachtlebenleuten bekommen („klar, daß da bald Schluß sein mußte“, lautete es hie und da). Doch „wir hatten nur mit Goetz wegen seiner ,Word 2‘-Release gesprochen. Das mit Westbam und seinen Bildern hat er vorgeschlagen, und das war dann ja auch wirklich geil: Westbam auf den Bildern mit dieser Siegerpose, diese Leute, die auf einmal da waren, das hatte schon was.“ Eine Ironie, die man zuletzt aber nur noch wenig spüren konnte: Die Galerie berlintokyo war so was wie eine Institution des Nachtlebens geworden. Hingehen, wohlfühlen, Leute treffen, ja. Doch so mancher Kick, die Sternstunden des Nachtlebens halt, die spitzbübische Freude über das kleine, große Ereignis für nur wenige ausgewählte Leute, das fehlte zunehmend.

So gibt's dann auch gar keine falschen Sentimentalitäten bei Philipp oder Vredeber und den anderen, von wegen Netzwerk, alte Freundschaften, schöne Abende: „Da gab es doch tatsächlich Leute, die an unsere soziale Verantwortung appellierten. Ist uns irgendwie wurscht. Und es sind ja eigentlich 50 bis 60 Leute, die mehr oder weniger an der Sache dran waren und mitorganisiert haben. Jetzt, da die Galerie zu ist, könnte das ja neue Energien von anderen Leuten freisetzen.“ Wer da also jammert, am Donnerstags und Samstags ein reales Ausgehproblem zu haben, der soll doch einfach selber mal machen!

Was bleibt: Die beiden Sampler, die Weihnachtssingle „Komm an den Ofen“, das Kunstzine, alles veröffentlicht unter dem Namen „Spielkreis“. Dann der Name berlintokyo, die Hoffnung, irgendwann wieder was unter diesem Namen zusammen zu organisieren. Was ihre persönliche Zukunft anbetrifft, hören aber auch die Galerie-Betreiber nicht plötzlich auf, so zu leben: Fast alle machen als Musiker, Maler, Fotografen, Booker, Clubbetreiber weiter. Und wenn da jemand wirklich mal ganz schlimm sentimental werden sollte, bleiben auch weiterhin die Türen nicht verschlossenen Türen: Der Ex-berlintokyo-Mitbetreiber Lars Vegas führt die Galerie im herkömmlichen Sinn weiter: Als reine Galerie eben. Nachmittags und frühabends, versteht sich. Heute, 22 Uhr: 100 Rec., Mo ab 22 Uhr Geburtstags- und Abschiedsfeier