Der renitente Professor

Seit fast 20 Jahren führt Albrecht Schott einen Kleinkrieg mit seinem Arbeitgeber, der FU Berlin: Die hält ihren Angestellten nämlich für unzurechnungsfähig   ■  Von Ralph Bollmann

Albrecht Schott hat den Zettel immer dabei, seit 1995. Klein zusammengefaltet, steckt das Schreiben des Gesundheitsamts Steglitz im Portemonnaie. An den Ecken ist es nach all den Jahren schon ein wenig abgestoßen. Aber noch immer steht dort schwarz auf weiß, der Amtsarzt habe bei Schott „keine gesundheitlichen Störungen festgestellt, die eine Dienstunfähigkeit bedingen“.

Schott ist also geistig voll zurechnungsfähig. Normalerweise muß ein Professor für Physiologie nicht damit rechnen, daß daran gezweifelt wird. Bei Schott ist das anders. Seit fast zwei Jahrzehnten liegt der heute 66jährige mit seinem Arbeitgeber, der Freien Universität (FU), im Streit, weil er sich an seinem Institut gemobbt fühlte. Seit vier Jahren wendet er sich damit an die Öffentlichkeit: Am heutigen Samstag hält er wieder eine Mahnwache vor der Gedächtniskirche ab, um seine „volle Rehabilitation durch die FU“ zu fordern.

Als Schott 1995 zum ersten Mal mit einer solchen Mahnwache auf seine Lage aufmerksam machte, zeigte sich der damalige FU-Präsident Johann W. Gerlach alles andere als amüsiert – und ordnete eine amtsärztliche Untersuchung an. Weil Schotts Verhalten „nach normal menschlichem Ermessen unverständlich“ sei, so Gerlach, habe er „den Einruck gewonnen, daß der Beamte infolge psychischer Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage ist, seinen beamtenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen“.

„Das gab's noch nie“, titelte damals das Boulevardblatt B. Z., „Uni will Professor für verrückt erklären“. Doch Gerlachs Coup, sich des renitenten Professors auf diese Weise zu entledigen, mißlang. Bei Schott diagnostizierte der Amtsarzt lediglich eine „posttraumatische Belastungsstörung mit beginnenden Persönlichkeitsänderungen sowie deutlichen psychosomatischen Beschwerden“, verursacht durch „die jahrelangen Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz, die mittlerweile seine Gesundheit erheblich angegriffen haben“.

Gleichwohl leitete der Jurist Gerlach im September 1996 ein Disziplinarverfahren ein, weil Schott durch Beschwerden, Mahnwachen und Kontakte mit der Presse gegen die beamtenrechtliche „Verpflichtung zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes verstoßen“ habe. Im vergangenen Jahr legte die Untersuchungsführerin ihren Bericht vor.

Auf 24 Seiten läßt sich jetzt ein jahrelanger Kleinkrieg nachvollziehen, der in Schotts Dahlemer Häuschen inzwischen unzählige Aktenordner füllt. Schott, der vor einem Jahr aus Altersgründen in den Ruhestand versetzt wurde, sagt selbst, die Auseinandersetzungen mit der Universität hätten sich inzwischen zum „Full-time-Job“ entwickelt.

An seinem Institut wurde Schott, seit 1971 Professor an der FU, offenbar zunehmend zum Außenseiter: der einzige Naturwissenschaftler unter lauter Medizinern, der einzige passionierte Lehrer unter lauter Forschern. Für didaktische Zwecke ließ er in der Werkstatt seines Instituts große Molekülmodelle anfertigen, mit denen er auch von Kongreß zu Kongreß reiste. „An seinem Institut wurde seine Arbeit nicht als wissenschaftlich bedeutsam beurteilt“, heißt es dazu im Untersuchungsbericht. Bei den Studenten dagegen, so heißt es, sei er beliebt gewesen. Er erhöhte sein Lehrdeputat nach eigenen Angaben auf das Doppelte, um seine Seminare von 30 auf 15 Teilnehmer zu verkleinern.

Wiederholt hätten die Kollegen versucht, ihn auf eine Seminargröße von 30 Studenten zu verpflichten. Schließlich entzog ihm der Institutsdirektor den Techniker, den Schott für den Bau seiner Modelle benötigte. Da Schott „keine nennenswerten Publikationen“ veröffentlicht und keine Drittmittel eingeworben habe, müsse das Institut „Prioriäten setzen“, teilte der Kollege mit.

Für die FU-Spitze hat sich die Causa Schott offenbar durch die Pensionierung des Professors erledigt. Erst als Schott vor dem Verwaltungsgericht eine Klärung erzwangt, stellte das Landesverwaltungsamt das Disziplinarverfahren offiziell ein. Da der Professor sich bereits im Ruhestand befinde, sei eine Bestrafung nicht mehr möglich – jedenfalls nicht wegen seiner vergleichsweise geringfügigen Vergehen.

Das Präsidialamt der FU wollte sich gegenüber der taz nicht zu dem Fall äußern. Zu Personalangelegenheiten nehme man grundsätzlich nicht Stellung.

Schott selbst will sich mit dem Bescheid des Landesverwaltungsamts freilich nicht zufriedengeben. Er fordert seine „volle Rehabilitation durch die FU“. Der Präsident solle sich bei ihm entschuldigen, außerdem will er „noch drei Jahre arbeiten dürfen“, um das Versäumte nachzuholen. Solange diese Forderungen nicht erfüllt sind, will er immer wieder vor die Gedächtniskirche ziehen.