Bundestag nimmt Baustelle Reichstag nicht ab

■ Das Parlament will in Berlin erst Hausherr werden, wenn jede Schraube festsitzt. Jetzt sollen die zahlreichen Baumängel am Reichstagsgebäude schnell beseitigt werden

Die Berliner Republik beginnt mit einer Mängelliste. Die Schlüsselübergabe des umgebauten Reichstages an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei der Eröffnungssitzung am 19. April war vor allem symbolischer Art. Formal hat sich der Deutsche Bundestag bislang geweigert, den Bau von der Berliner Bundesbaugesellschaft abzunehmen. Zu viele Mängel gebe es noch im von dem englischen Architekten Sir Norman Foster umgebauten Parlament. Wie der Leiter der Baukommission des Bundestages, Dietmar Kansy der taz bestätigte, sei vor allem die Schalldämpfung in der Decke des Plenarsaals noch nicht optimal gelöst, und die Feuerschutzeinrichtungen in den einzelnen Räumen müßten geprüft werden. Aber vielfach handle es sich auch um Bagatellen. „Öfters geht es auch darum, ob die fünfte Schraube in der Lampe im Raum 611 fehlt“, fügte Kansy süffisant an.

Der Deutsche Bundestag habe zusätzlich zu einer Mängelliste, die die Bundesbaugesellschaft Berlin aufgestellt habe und bei der laut Bild 6.000 Punkte benannt worden seien, eine eigene Liste angefertigt. Der Bundestag habe nach der Eröffnungssitzung die Fraktionen, den Restaurantbetreiber „Käfer“ und die Presse aufgefordert, Mängel in ihren Bereichen zu benennen. Bei einer Sitzung am 16. Juni will sich die Baukommission, in der sowohl Vertreter der Bundesbaugesellschaft als auch des Bundestages sitzen, mit relevanten Punkten beschäftigen, die entweder kostenintensiv sind oder den planmäßigen Betrieb gefährden könnten. Wann der Bau durch die Berliner Bundesbaugesellschaft endgültig an den Deutschen Bundestag übergeben wird, ist bislang nicht entschieden. Die Bauabnahme soll in den nächsten Monaten etappenweise erfolgen. „Ganz übernehmen wir allerdings erst, wenn jede Schraube richtig sitzt“, sagte Kansy. „Das gefällt der Bundesbaugesellschaft Berlin natürlich nicht.“

Ursprünglich sollte der Deutsche Bundestag schon ab März sein Hausrecht ausüben. „Für uns ist entscheidend, daß wir den Parlamentsbetrieb im September aufnehmen können“, sagte eine Sprecherin des Bundestages.

Daß die Nutzung des Reichstages derzeit erheblich in Frage gestellt sei, wie geunkt wurde, wies die Sprecherin der Bundesbaugesellschaft, Claudia Lehmhoefer, gestern zurück. „Das ist absolutes Tagesgeschäft“, sagte Lehmhoefer. Wie bei jedem Einfamilienhaus gebe es eine Mängelliste, wo jede undichte Fuge aufgeführt werde. Die Hälfte dieser Mängel sei inzwischen beseitigt. Vermutlich sei die Liste bis Ende Juni abgearbeitet. Auch danach könnten laut Lehmhoefer aber in einer zweijährigen Garantiefrist beim Auftreten von Mängeln Reklamationen bei den Baufirmen angebracht werden.

Der Bundestag hatte zwischenzeitlich bei der Bundesbaugesellschaft angefragt, ob es möglich sei, die Besuchertage für die Öffentlichkeit zu verlängern. Nach der Einweihung am 19. April hatten rund 150.000 Bürger das umgebaute Parlament mit seiner Glaskuppel besucht und teilweise drei Stunden Schlange gestanden, um „ihr“ Palament zu sehen. „Man muß sich darüber im klaren sein, daß jeder Tag, an dem das Parlament für die Öffentlichkeit länger zu besuchen ist, am Reichstag nicht weiter umgebaut werden kann. Deshalb haben wir davon erst mal wieder Abstand genommen“, hieß es in der Pressestelle des Bundestages. Zudem müsse bis zur Wahl des Bundespräsidenten am 23. Mai die Sitzordnung im Plenarsaal komplett verändert werden, um die 1.338 Mitglieder Bundesvollversammlung, zu der die Abgeordneten und die Bundesratsmitglieder gehören, unterzubekommen. Annette Rollmann