Warnsignal zum Kosovo an die Bonner Regierung

60 SPD-Abgeordnete lassen in einer Erklärung Mißtrauen wegen der Entsendung von Soldaten erkennen  ■   Aus Bonn Bettina Gaus

Bei der Rede von Gregor Gysi verlor der Verteidigungsminister die Beherrschung. „Wann hören Sie auf, die Bundesrepublik Jugoslawien zu bombardieren?“ hatteder PDS-Fraktionsvorsitzende gestern im Bundestag gefragt und scharfe Kritik an den zunehmenden Angriffen der Nato auf zivile Ziele geübt. Das wollte Rudolf Scharping nicht mitanhören: Mit erregten Zwischenrufen von der Regierungsbank aus versuchte er, Gregor Gysi zu unterbrechen – ein ungewöhnlicher Bruch der Etikette. Traditionell applaudieren Kanzler und Minister nicht einmal, und Mißfallensäußerungen sind ohnehin streng verpönt. Mahnend legte Außenminister Joschka Fischer dem Kollegen die Hand auf den Arm. Der aber war nur mühsam zu beruhigen.

Die PDS hat gestern als einzige Fraktion gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, bis zu 1.000 weitere Bundeswehrsoldaten für die Hilfe bei der Versorgung der Kosovo-Flüchtlinge nach Albanien und Makedonien zu entsenden. Man könne dem Antrag nicht zustimmen, „wenn man nicht weiß, zu welcher Eskalation das beitragen kann“, erklärte Gysi.

Auch in anderen Fraktionen war die Sorge vor einer Verwicklung in Kampfhandlungen am Boden laut geworden. Geplant sei ein „streng humanitärer Einsatz“, betonte Außenminister Fischer. „Es geht hier eindeutig nicht um eine Stationierung von Bodentruppen durch die Hintertür.“ Das wäre auch „völlig falsch“: Wenn „ein solcher Strategiewechsel nötig wäre“, dann müßte das der Bevölkerung und dem Bundestag offen mitgeteilt werden.

Mit dem Recht auf „Nothilfe“ für Nato-Verbündete sei „eine gewisse Gefahr verbunden, in Bodenkämpfe hineinzuschlittern“, meinte gestern der CDU-Abgeordnete Karl Lamers. Für wahrscheinlich hält er das aber nicht, und so stimmte die Union dem Antrag zu.

Andere Parlamentarier zeigten ihre Sorge deutlicher. Sechzig SPD-Abgeordnete und zwei ihrer Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen stimmten zwar ebenfalls dem Antrag der Bundesregierung zu, gaben aber gleichzeitig eine Erklärung zu Protokoll, die einer offenen Bekundung des Mißtrauens gegenüber der Regierung gleichkommt: Sie betonen darin ausdrücklich, daß die Soldaten nur für humanitäre Hilfe und außerhalb von Jugoslawien eingesetzt werden dürfen. „Ich halte das auch für ein Signal, daß die Zahl derer täglich wächst, die für ein Ende der Bombardierungen sind“, sagte Mitunterzeichner Hermann Scheer (SPD) zur taz.

Einhellig begrüßten die Fraktionen die von den Außenministern der G-8-Staaten vereinbarten Grundsätze für eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts. Scharping sieht darin die „deutliche Chance, in einer überschaubaren Zeit zu einer friedlichen, politischen Lösung zu kommen“. Außenminister Fischer nannte die G-8-Übereinkunft einen „wichtigen Schritt“, warnte aber zugleich, dies sei aus seiner Sicht „noch nicht der entscheidende Durchbruch zum Frieden“. Eines der „schwierigen Problemfelder“, die mit Rußland noch gelöst werden müßten, sei die geplante Friedenstruppe für das Kosovo. „Selbstverständlich ist die Frage noch offen: Welche Rolle spielt dabei die Nato?“

Karl Lamers vertrat die Auffassung, ohne die Nato-Angriffe gegen Jugoslawien wäre die Einigung des Westens mit Rußlandnicht zustande gekommen. „Das, was hier drinsteht, hätte man auch ohne Krieg erreichen können“, meinte dagegen Gregor Gysi. Er sagte, die Erklärung der Außenminister weiche „nicht erheblich“ vom Friedensplan der PDS ab.

Aus einem Dilemma hatte am Vorabend die Übereinkunft der Außenminister der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen geholfen. Sie wollte in einer Resolution zum Kosovo-Konflikt Stellung beziehen – ein Vorhaben, dem Joschka Fischer ablehnend gegenüberstand. Die Einigung der Außenminister bot einen Ausweg: Der Entwurf für die Resolution sei nicht mehr auf dem aktuellen Stand, hieß es nun, und so wurde sie auf der Fraktionssitzung gar nicht erst befaßt.

Nicht alle Abgeordneten sind damit zufrieden: „Es wäre ein gutes Signal an die Partei und an die Öffentlichkeit gewesen, wenn wir als Fraktion ergänzend zu dem großen Erfolg des G-8-Treffens weitergehende Forderungen gestellt hätten“, sagte die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller gegenüber der taz.