Rotierende Gedankenfolter

■ Nudelfresser, Golden Girls und eine mißlungene Moderation: die „Lange Nacht der jungen Dramatiker“ im Schauspielhaus

Die Atmosphäre war gespannt, die Luft schwer und dunstig, mehr als ausverkauft der Saal. Dicht gedrängt saßen die Zuschauer am Freitag abend sogar auf den Treppenstufen zur Schauspielhauskantine. Junge Literatur ist offenbar angesagt. Was braucht es mehr bei einem Lesemarathon als gute Geschichten?

Etwa über eine Pariser Dachbude, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hat – genauso, wie die gealterte, schnarchende Marlene im Bett. „Der Gestank im Zimmer ist eine Zumutung“, findet Leni und reißt die verlebte Diva aus dem schmatzenden Delirium. Ganz recht, die Rede ist von den beiden „preußischen Golden Girls“ Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl. Das bizarre tête à tête Marleni hat die Berliner Autorin Thea Dorn verfaßt, als frechen verbalen Schlagabtausch zweier vollkommen konträrer Charaktere, verkörpert von den Schauspielerinnen Malen Diekhoff und Ilse Ritter.

Bei Steffen Kopezkys Zuverlässigem Bericht über die Schlaflosigkeit, vom Autoren selbst virtuos vorgetragen, gibt es kein Entrinnen. Sperrig und schwerfällig winden sich die Ereignisse des Tages durch den Kopf des Schlaflosen, kreisen erbarmungslos, erst langsam, dann immer enger, immer schneller. Die rotierende Gedankenfolter ist durch ständig wiederkehrende Sätze, unauflösbare Paradoxien und eine in sich geschlossene Dramaturgie auf alle Ebenen des Monologs übertragen. Das Ende verschmilzt mit dem Anfang, die Zeit wird aufgehoben.

Auch der Nudelfresser spricht mit sich selbst – oder ist es doch eine andere Person, der er unablässig seine überstrapazierten Teigwaren aufdrängt? Vielleicht ist es sogar das Publikum, das der Regisseur und Dramaturg Wilfried Happel mit seiner nicht enden wollenden Spaghetti-Geschichte stranguliert. Eine theaterphilosophische Betrachtung also?

Es gehe ihm wirklich nur um die Nudeln, beteuert der Nudelfresser, und „nicht um so'n scheiß Psychokram. Diese Nudeln hier, die sind gemacht worden, damit wir die hier zusammen fressen. Scheiße. Warum sagst Du eigentlich nix. Bist wohl schon 'ne Leiche. Scheiße. Bist Du nun tot oder nich'? Das muß man doch wissen!“, spricht Robert Gallinowski den penetrant quasselnden Gastgeber mit überzeugend sonorem Tonfall. Wenn die Nudeln einmal alle sind, dann werden eben im Supermarkt neue gekauft. Irgendwann fressen wir sie schon. Solange bleibt jedenfalls der Teller auf dem Tisch.

So manches Skurriles hatte die „Lange Nacht der jungen Dramatiker“ also zu bieten, gewollt und ungewollt. Peinlich aber waren nur die Moderatoren, die sich in Selbstdarstellung gefielen oder in akademischen Erläuterungen verloren. Eine gute Geschichte spricht schließlich für sich selbst.

Ulrike Bals