Mutigere Zeichen setzen

■ Bilanz des Drogenbeauftragten Ingo Ilja Michels: Mitte Mai wechselt er in das Büro der rot-grünen Bundes-drogenbeauftragten Christa Nickels

Der Bremer Drogenbeauftragte geht. Mitte Mai wechselt Ingo Ilja Michels von Bremen nach Bonn – als neuer Mitarbeiter der rot-grünen Drogenbeauftragten Christa Nickels. Sechs Jahre lang betreute Michels als grün angehauchter Beauftragter die Drogenpolitik in der großkoalitionären Stadt. Wir sprachen über seine Beauftragtenbilanz.

taz: Als Sie begannen, ging es noch drogenpolitisch zur Sache. Jetzt ist es ruhig geworden. Woran liegt das?

Ingo Ilja Michels: Früher wurde der Drogenstrich zerschlagen und die offene Drogenszene im Viertel. Das war damals auch ein Stück Hilflosigkeit: Es gab viele Ängste, Spritzen lagen herum. Dann begann die Ampelkoalition das Hilfesystem auszubauen und die Regionalisierung einzuleiten und dafür Sorge zu tragen, daß die Mitbewohner nicht mehr so massiv leiden, und die große Koalition setzte diese Politik fort.

Die große Koalition setzt jetzt auf Repression und Hilfen gleichzeitig. Es wird ein riesiges Methadonprogramm angeboten. Ihr Beauftragtenvorgänger Guus van der Upwich warf damals im Zorn das Handtuch und ging mit den Worten: Methadon ordnungspolitisch, ohne psychosoziale Hilfen, zu vergeben oder Drogen zu legalisieren, könnte er nicht „verantworten“.

Für mich war und ist Methadon ein wichtiger Schritt zur Überlebenshilfe. Bremen hat da eher eine bundesweite Vorbildfunktion. Es existiert mittlerweile ein breites Netz von niedrigschwelligen Kontaktläden bis zu Wohnprojekten und drogenfreien Therapien.

Aber für 2.000 Methadonsubstituierte gibt es immer noch nur knapp 20 Betreuerstellen, und die Szene ist dank Repression aus fast aller Augen verschwunden.

Die 20 Stellen beziehen sich nur auf die speziellen psychosozialen Begleitprojekte für Substituierte. Es gibt darüber hinaus auch Mitarbeiter der Drogenberatungsstellen und der Wohnprojekte, die Betreuung leisten. Was die Ordnungspolitik angeht: Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Aber „ruhig halten“ ist für mich immer so ein Kampfbegriff. Denn was wäre die Alternative? Eine offene Szene?

Nicht unbedingt, aber Tatsache ist doch: Das Methadonprogramm läuft seit zehn Jahren und wurde nie wirklich grundlegend auf seine Schwachstellen geprüft. Fährt die große Koalition gut damit, daß endlich Ruhe ist?

Das sehe ich nicht so. Wir haben sehr viel Qualitätssicherung betrieben. Wir haben geschaut, was eigentlich für Hilfen gemacht werden, und wie sie ankommen. Wir sind dabei, diesen Prozeß zu dokumentieren und haben gemeinsame „Leitlinien der Hilfen“ erarbeitet, die von allen Trägern mitgetragen werden ...

... aber dabei auf Reformschritte wie Modellversuche zur Heroinvergabe oder Gesundheitsräume schlicht verzichtet?

Wir haben sehr wohl mit Vertretern aus der Drogenhilfe, aus den Ärztekammern und dem Gesundheitsamt darüber nachgedacht, ob ein Heroin-Modellprojekt sinnvoll ist für Leute, die man über das Methadonprogramm nicht erreichen kann.

Aber da hatten es selbst auch grüne Kräfte offenbar nicht eilig: Die Grünen erklärten vor kurzem, sie lehnten drogenpolitische Unruhe ab. Denn welchen Bürgern sollte man denn im Viertel z.B. Druckräume vor die Nase stellen?

Aufgeregte Diskussionen sind ja auch nicht immer hilfreich, um konkrete Schritte hinzubekommen. Neue Dinge muß man pragmatisch versuchen.

Also schlägt auch Ihr grünes Herz in Bremen anders – Rot-grün in Bonn und Ihre neue Arbeitgeberin wollen ja Modellversuche durchziehen?

Bei den Bremer Grünen ist die Diskussion in der Tat sehr viel vorsichtiger. Da mag die Vergangenheit durchaus zu Ängsten geführt haben, sich an diesem Thema die Finger zu verbrennen.

Die Zahl der Drogenabhängigen und Drogentoten in Bremen ist unverändert hoch. Darf man sich darauf ausruhen?

Nein. Zum Teil sind Leute seit 15 Jahren im Methadonprogramm. Für solch chronisch Kranke fehlen Hilfen. Auch Arbeitsmöglichkeiten für Abhängige fehlen. Wir haben sicher nicht das optimale Drogensystem, und wir müssen neue Ideen entwickeln – zum Beispiel auch in Richtung Entkriminalisierung von Cannabis. Da hätte ich mir in der Tat mutigere politische Zeichen gewünscht.

Und wo noch?

Viele große Krankenhäuser tun sich schwer damit, das Thema Suchtkrankenhilfe zu erkennen – vor allem bei Alkoholerkrankungen. Da müßte noch eine Menge passieren. Und daß Selbsthilfegruppen verstärkt einbezogen werden. Das ist zu wenig passiert, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, die Betroffenen stärker zu unterstützen. Das ist mir nicht ganz so gelungen.

Sie werden künftig für die Bundesdrogenbeauftragte arbeiten. Was erwartet Sie da?

Erstmal viel Terminkoordination. Dann aber auch die Kontaktaufnahme zu verschiedenen Verbänden, zu Forschergruppen und Selbsthilfegruppen. Die Verbindungen zwischen der Drogen- und Aidshilfe werde ich fördern. Ich nehme mir außerdem vor, neue Partydrogen-Initiativen anzuschieben. Die hat das Ministerium bisher weitestgehend ignoriert.

Fragen: Katja Ubben