Nudossi und Nostalgie

■  Auf der „Ostpro '99“, der 17. Messe für Ostprodukte am Alex, wurden nostalgische Ossis genauso fündig wie interessierte Wessis

Die Ampel steht auf Rot. Eine Gruppe älterer Ehepaare wartet, wie es sich gehört, auf das grüne Männchen. Doch einer tanzt aus der Reihe. Weit und breit ist kein Auto auf der vierspurigen Grunerstraße zu sehen. Nur noch wenige Meter trennen ihn von der Kongreßhalle, vor der weißviolette Fahnen der 17. „Ostpro“-Messe flattern, der Messe für Produkte aus den neuen Bundesländern. Obwohl es Sonntag morgen, 10 Uhr ist, treibt der Mann die Gruppe an, als sei es kurz vor Ladenschluß. Wütend schlenkert er seine Handgelenktasche durch die Luft und ruft: „Das ist ja wie im Preußen der alten Untertanen, kein Auto kommt, und ihr bleibt stramm stehen!“ Schweigend folgen ihm die anderen über die rote Ampel.

Es ist verrückt: Wenn „Ostpro“-Zeit ist, scheint der Osten verschwunden und präsent zugleich zu sein. Verkehrsregeln, deren Einhaltung früher zum sozialistischen Pflichtprogramm gehörten, werden über den Haufen geworfen, um in ein Warensortiment einzutauchen, das in der real existierenden Westwelt nur eine untergeordnete Rolle spielt. Ob Ostseefisch, („Der Norden ißt gut“), Mühlhäuser Fleisch- und Wurstwaren („Bei uns geht's um die Wurst“), Harzer Käse („So ein Käse“) oder Altenburger Schnäpse („Bleib flüssig“) – daß die Verpakkungen längst Abschied vom einheitlichen VEB-Look genommen haben, mindert nicht den Erkennungswert. Plötzlich wird die alte Bambina-Schokolade bestaunt wie damals Kinderüberraschungseier. Und bei Florena-Cremes bilden sich Schlangen wie zu DDR-Zeiten.

Selbst Sofamaße von 0,80 mal 1,90 m, eher bekannt für ihre Unbequemlichkeit, sind zu bestaunen. Mit Nostalgie hat das für Thomas Fuhrmann von der Polstermöbel GmbH „PM“ aus Sachsen nichts zu tun. „Es gab eine ganz dolle Nachfrage nach diesen Maßen“, erzählt der 35jährige. Also habe man sie wieder ins Sortiment genommen. Doch die vielen Menschen, die schon am frühen Vormittag durch die engen Gänge „krauchen“, wie er sagt, das kriegt er „nicht auf die Rille“. Mit Blick auf die vorwiegend älteren Besucher sagt er: „Die rennen ihrer Nostalgie hinterher.“

Seit 1991 findet zweimal im Jahr die „Ostpro“ statt. Die Zahl der Aussteller hat sich bei etwa 80 eingependelt. Premiere hat diesmal neben Cornflakes aus Wurzen und Damenoberbekleidung aus dem Vogtland, der Schokoladenbrotaufstrich „Nudossi“ aus Radebeul. Doch wie heißt es am Stand von Rondo-Kaffee? „Über Geschmack läßt sich nicht streiten.“

Nach Ansicht der Veranstalter, Scot Messen und Marketing, trägt die „Ostpro“ dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit ostdeutscher Produkte zu fördern. Doch obwohl sich einige kaum noch von Westprodukten unterscheiden, haben sie es noch immer schwer, in die Regale der Supermärkte zu kommen. Sabine Zenker weiß, warum das so ist. Die 45jährige ist Verkäuferin bei „Kaiser's“ in Marzahn. „Für viele Hersteller ist die Mengenlieferung problematisch, wenn sie alle Märkte gleichzeitig bestücken müssen“, sagt sie. Trotzdem wird die gebürtige Thüringerin in den „Kaiser's“-Regalen fündig, wenn sie Produkte aus der Heimat sucht: Senf, Sauerkohl, Essigessenz, Reisprodukte und Mehl fallen ihr spontan ein. Doch diese firmieren häufig unter dem A&P-Logo. Trotzdem wünscht sie sich, daß mehr Produkte „eine Chance bekommen“. Denkbar seien Ausstellungen zur Leipziger Messe oder Postwurfsendungen mit Proben.

Ein Ehepaar aus Lichterfelde, das „recht gute Sachen“ unter den Ostprodukten ausgemacht hat, würde es begrüßen, wenn mehr Westler den Weg zur Ostmesse fänden. Mit dem „Kathi“-Backmehl, erzählt die Frau, habe sie „ganz hervorragende Weihnachtsplätzchen“ gebacken und aus Sachsen gebe es eine „ganz vorzügliche Marmelade“. „Die nicht kommen, sind dumm“, sagt sie zum Schluß. Ein Münchner pflichtet ihr bei und erzählt voller Stolz, wie er 1992 nach Friedrichshain gezogen ist. „Um die Mentalität kennenzulernen“, wie er sagt. Der 50jährige räumt zwar ein, lieber Löwen- als Bautzener Senf zu essen, doch „die Säfte aus Werder“ seien gut. Und hin und wieder trinke er ein Radeberger statt eines Paulaners. Am meisten freut ihn, daß Osthersteller, die er früher als schüchtern erlebt habe, selbstbewußter geworden seien. Das einzige, was jetzt noch fehle, seien „Ostpro“-Messen in den alten Bundesländern. Natürlich brauche man dazu einen guten Marketingexperten, merkt er an und stellt sich sogleich als solcher vor.

Auch der „Ostpro“ würde ein bißchen mehr Marketing nicht schaden.Auch wenn der Eintritt nur eine Mark kostet. Zwischen den Ständen, die zum Teil winzig klein und lieblos gestaltet sind, stehen Holzpaletten und leere Pappkartons herum. Handgeschriebene Zettel verbieten das Abstellen von Tüten auf riesigen Heizkörpern. Der gewünschte Aufwind Ost ist nur in den Gardinen der geschlossenen Garderobe zu spüren, die der Wind in Wallung versetzt. „Das ist schlecht organisiert“, sagt ein 51jähriger Nachrichtenelektriker. Trotzdem komme er gerne auf die Messe, weil sie „nostalgisch-liebenswert“ sei. Dann erzählt er von der „Vereinnahmung des Ostens durch den Westen“. So redet ein Westberliner, der mit einer Rostockerin verheiratet ist. „Ich kenne die Stärken und Schwächen der DDR“, sagt er.

Richtig enttäuscht ist ein Ehepaar, so Ende Dreißig, aus Köpenick. „Der Pittiplatsch war ausverkauft“, klagt die Mutter, die nur gekommen ist, um für die 3jährige Tochter den Protagonisten der DDR-Gutenachtgeschichten zu kaufen. „Ostzigaretten gab es auch nicht“, ergänzt ihr Mann und steckt sich eine mitgebrachte Karo in den Mund, in dem anderthalb braune Schneidezähne ein trauriges Dasein fristen. B. Bollwahn de Paez Casanova