Buhmann ohne fehlendes Format

Trotz 1:0 über Lautern und Champions-League-Nähe pfeifen die Dortmunder Anhänger auf Michael Skibbes Ratio-Fußball. Sie fordern Sinnlichkeit.  ■   Von Katrin Weber-Klüver

Dortmund (taz) – Ein Umbruch ist eine verzwickte Angelegenheit. In Dortmund, wo diese Phase der Umorientierung mehr oder weniger intensiv seit dem Gewinn der Champions League vor zwei Jahren betrieben wird, sieht der Stand derzeit so aus: Rein äußerlich betrachtet, wird die Systemmodernisierung, Kaderverjüngung, Entschlackung der Übersättigten – oder wie man es nennen will – von Erfolg flankiert.

Mit dem jüngsten 1:0-Sieg gegen Kaiserslautern hat Dortmund von eben diesen Pfälzern den vierten Rang übernommen. Alles im Soll. Die Anhänger aber stimmt die Aussicht, bald vielleicht wieder in der Champions League dabeizusein, längst nicht mehr gnädig, erst recht nicht euphorisch. Denn die 16 Heimspiele dieser Saison waren zwar meist erfolgreiche, aber auch blutleere Veranstaltungen. Und obzwar der BVB-Anhang spielästhetisch ohnehin nicht besonders verwöhnt ist – oder gerade darum –, vermißt er auch die Schönheit des Spiels. Und mit der Leidenschaft früherer Jahre hat das Spiel der Borussia 98/99 sowieso nichts mehr zu tun.

Für enttäuschte Erwartungen und Wünsche macht man am besten einen Schuldigen aus, das erleichtert. In diesem Fall ist es, naheliegend, der Trainer: Michael Skibbe (34), der Mann, der dem erfolgreichen Hitzfeld und dem glücklosen Scala nachfolgte, der als jugendlicher Hoffnungsträger der Erneuerung angetreten war – jetzt ist er der Buhmann. Denn wenn eine Mannschaft, sobald sie einmal in Führung geht, so zuverlässig in die verhaltene Verteidigungsstellung wechselt, dann kann das schwerlich Zufall sein oder ständiges kollektives Handeln gegen den Willen des Trainers. So sinniert der grüblerische Anhänger und schlußfolgert wütend: Die Mannschaft handelt nicht eigenmächtig, der Trainer weist sie an, so kontrolliert und risikolos zu spielen. Nach der frühen Führung (12.) und einer exklusiv vergebenen Chance von Rikken wenig später hatte Dortmund tatsächlich nur noch drei halbwegs vernünftige Tormöglichkeiten. Kaiserslautern erging es allerdings nicht besser, obwohl Trainer Otto Rehhagel nach eigenem Bekunden sukzessive „alle Möglichkeiten ausschöpfte“, zu einem Tor zu kommen.

Nach dem Rückstand richtete er das Mittelfeld offensiver aus, was ihm nachher Lob von Skibbe einbrachte („eine gute taktische Maßnahme“), später gab er den Liberoposten auf, und am Ende ließ er mit drei Stürmern spielen. Fast wäre das Konzept aufgegangen. Doch Marschall scheiterte in den Schlußminuten mehrfach und Rösler in der Nachspielzeit an Lehmann. Pech für Lautern, Glück für Dortmund.

Bis zu diesen heiklen Schlußmomenten, bilanzierte Skibbe zufrieden, habe seine Elf „kompakt gestanden und das Spiel im Griff gehabt“. Fazit von seiner Warte: drei Punkte, Rang vier – alles richtig gemacht. Weil aber diese Art von Ergebnisfußball in einer Arena wie dem Westfalenstadion so ist, als würde man ein Opernlibretto trocken vorlesen, statt es zu Musik zu singen, kamen die Tribünen überein, den Trainer für sein Taktieren abzustrafen. Pfiffe und zigtausendfache „Skibbe raus!“-Rufe begleiteten die Auswechslung des populären Chapuisat (74.). Das Ereignis war vermutlich nicht wirklich wichtig, denn daß der Torschütze in der zweiten Halbzeit besonders wenig Konstruktives zum Spiel beitrug, war kaum zu übersehen. Wahrscheinlicher ist: Die Auswechslung kam zu einem Zeitpunkt, als der Unmut über halbherzige Konter, halbherzige Fehlpässe und halbherzige Befreiungsschläge kollektiv so gegoren war, daß er endlich explodieren mußte und wollte.

Der Trainer, von dem Präsident Niebaum sagt, „keiner kann ihm fehlendes Format unterstellen“, ist aber nicht willens, sich mit diesem Unbehagen auseinanderzusetzen. Er zieht emotionslose Fachlichkeit vor: Chapuisat sei „müde“ gewesen und habe selbst ausgewechselt werden wollen. Und: Die Schmähungen der Anhänger „treffen mich in der Tat nicht, ich habe meine Entscheidungen unabhängig von der Öffentlichkeit, in diesem Fall den Fans, zu fällen“. Überhaupt entspricht diese Kulisse nicht der Rolle, die der Trainer ihr zuschreibt: „Grundsätzlich sollte sich das Publikum mehr damit beschäftigen, uns zu helfen, wie wir den Sieg über die Runden kriegen.“

Prosaischer läßt sich Fußball schwerlich beschreiben. Anders gesagt: Bei dieser Diskrepanz in Fragen der Phantasie deutet nichts darauf hin, daß Skibbe und die Fans des BVB in absehbarer Zeit dieselbe Idee von Sinn und Sinnlichkeit des Spiels entwickeln werden. Zu beider Seiten Wohl ist bald wenigstens Sommerpause.

Borussia Dortmund: Lehmann - Reuter - Baumann, Nijhuis - Ricken, Stevic, Nerlinger, Dede - Möller - Herrlich (90. Hengen), Chapuisat (75. Barbarez)1. FC Kaiserslautern: Reinke - Ramzy (75. Rische) - Koch, Schäfer (37. Riedl) - Buck, Ratinho (64. Ballack), Sforza, Schjönberg, Wagner - Rösler, Marschall Zuschauer: 68.600 (ausverkauft)Tor: 1:0 Chapuisat (11.)