Wenn Politiker wie Bürger reden

■  Zum 50. Geburtstag des Grundgesetzes diskutierten 16 Promis über die Mängel des politischen Systems – und setzten den populistischen Forderungen wenig entgegen

Berlin (taz) – 14 Stunden dauerte die Debatte, dann verabschiedete der Parlamentarische Rat in Bonn am Abend des 8. Mai 1949 das Grundgesetz. Als „Paragraphengespinst“ bezeichneten es damals viele Deutsche abfällig. Heute ist die Verfassung weitgehend akzeptiert. Mit ihrer Umsetzung allerdings in die politische Praxis sind die Bürger alles andere als zufrieden. Das bekamen am Samstag zum Auftakt der „Wochen der Bürgergesellschaft“ bei zwei Podiumsdiskussionen in der Berliner Philharmonie prominente Politiker zu spüren: keine Feierstimmung zum 50. Geburtstag des Grundgesetzes, sondern viel Kritik an der Macht der Parteien und der Ohnmacht der Bürger.

Erwartungsgemäß machte sich der Verwaltungswissenschaftler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim, der für populistische Ansichten immer zu haben ist, die Forderungen der Bürger zu eigen. Deren Fragen hatten die Veranstalter – rund 80 Stiftungen und Politikorganisationen – schon Monate zuvor gesammelt. Von Arnim prangerte die „Parteibuchwirtschaft“ und die Verquickung der staatlichen Gewalten an. Es sei nicht hinzunehmen, daß Minister auch dem Bundestag angehörten.

Seine Mitdiskutanten wehrten sich zwar gegen diese pauschalen Vorwürfe, sparten aber auch nicht mit Kritik. „Politiker sind nicht die einzigen Menschen, die ihre Interessen vertreten“, verteidigte der Europaabgeordnete der Bündnisgrünen, Wolfgang Ullmann, die eigene Zunft. Gleichzeitig plädierte er jedoch für die Trennung von Amt und Mandat. Auch Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker bemängelte, daß wichtige Entscheidungen in Gremien wie Koalitionsausschüssen getroffen würden, die das Grundgesetz gar nicht vorsehe. Unterstützung erhielt er von Dagmar Schipanski, der CDU-Kandidatin für die Bundespräsidenten-Wahl am 23. Mai. Viele Parlamentarier seien mittlerweile „Berufsabgeordnete“, die die Auswirkungen ihrer Gesetze im Arbeitsleben gar nicht zu spüren bekämen. Sie sprach sich für die Begrenzung des Mandats auf zwei Legislaturperioden aus.

Für diese Forderung seiner Parteikollegin hatte der CDU-Fraktions- und Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble nur ein kühles Lächeln übrig. Seit bald 27 Jahren sitzt er im Bundestag, ein Ministeramt hatte er auch schon inne.

Die populäre Forderung nach mehr direktem Einfluß des (Wahl-)Volkes durfte bei der Diskussion nicht fehlen. Bei diesem Thema brauchte von Arnim gar nicht den Vorreiter zu spielen. Das nahmen ihm die ab, die am leichtesten für mehr Plebiszite eintreten können, weil sie nicht mehr aktiv in der Politik sind: von Weizsäcker und die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher. Der Alt-Bundespräsident forderte unter heftigem Applaus die Direktwahl des Staatsoberhauptes. Hamm-Brücher wünschte sich die Ausweitung des Petitionsrechts. Petitionen größerer Gruppen müßten öffentliche Anhörungen im Bundestag samt Abstimmung zur Folge haben. „Wenn wir den Bürgern nicht mehr zutrauen, ist die ganze Demokratie gefährdet“, so die FDP-Politkerin.

Zum Erstaunen der Zuschauer schwang sich aber auch die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, zur Vorkämpferin für mehr plebiszitäre Elemente in der Verfassung auf. „Die Montags-Demonstrationen 1989 und die Runden Tische waren geglückte Exempel direkter Demokratie“, erinnerte sie. Wenn die Ergebnisse von Plebisziten nicht unmittelbar Gesetz würden, sondern letztlich die Parlamente entschieden, sei das eine sinnvolle Ergänzung des Grundgesetzes.

Fünf Stunden lang diskutierten 16 Politiker, Wissenschaftler und Intellektuelle über die Mängel des politischen Systems. Und das Ergebnis? Mit Blick auf eine Direktwahl des Bundespräsidenten nannte es von Weizsäcker beim Namen: „Wie ich den Laden kenne, werden wir das nie erreichen.“ Jutta Wagemann