Press-Schlag
: Zug der Lemminge

■ Massenflucht bei Werder Bremen

Schwupps – schon war er weg! Gerade hatte Felix Magath am Sonntag noch fröhlich – nun, vielleicht nicht ganz so fröhlich – das Training beim SV Werder Bremen geleitet und die Spieler für den nächsten Morgen zwecks Vorbereitung auf das heutige hochwichtige Heimspiel gegen Schalke 04 und kommende ehrenvolle Aufgaben wie Zweitligaverhinderung und Pokalfinale aufs Gelände geladen, da traf ihn plötzlich, wie vom Göttervater Zeus geschleudert, die Erkenntnis: Ich bin hier fehl am Platz! Ein reziproker Amorpfeil sozusagen: Keiner mag mich, und ich mag auch keinen, also, was soll ich hier? Schnurstracks eilte er zum Präsidium, verkündete seine Demission als Trainer des potentiellen Absteigers, der als Uefa-Cup-Teilnehmer und –Aspirant in die Saison gestartet war – mit anderem Trainer versteht sich –, und verschwand. Wohin? Nun, ins Fernsehstudio, wo er live seinen Exitus abruptus zu erläutern suchte und nur schwer die Genugtuung verhehlen konnte, nie mehr live das Gesicht von Andreas Herzog sehen zu müssen.

Während die Spieler aus allen Wolken fielen, machte das Präsidium gleich Nägel mit Köpfen und kündigte ebenfalls seinen Rücktritt an. Ein veritabler Zug der Lemminge bahnt sich an im Weserland, nur Manager Willi Lemke harrt noch aus, ist sich keiner Schuld bewußt und hofft vermutlich immer noch, daß eines schönen Tages Freund Otto zu ihm zurückkehren wird. Der hatte 14 Jahre lang als naseweiser König in Bremen geherrscht und im gemeinsamen Dornröschenschlaf mit der Klubführung sämtliche Entwicklungen im modernen Fußball verschlafen. Immerhin war er klug genug, sich davonzumachen, als die Misere offenkundig wurde, während Lemke zurückblieb, um als Don Quijote der Pfeffersäcke wider die „Zasterligen“ zu streiten. Was seinen Verein betrifft, erfolgreich.

Zurück zu Magath. Videoaufzeichnungen habe er betrachtet, verriet er, und auf einmal erkannt, daß die Mannschaft nicht „so frei“ spielte, wie er sich das vorstellt. Eine interessante Art der Begutachtung, bei der sich die Frage erhebt, warum Magath bisher eigentlich so nutzlos an der Seitenlinie herumstand und sich die Partien nicht einfach videonah im Fernsehen anschaute. Vermutlich wären ihm dann viel früher wertvolle Erkenntnisse über das Spiel seines Teams gekommen.

Zum Beispiel diese, nach dem unfeinen Abgang geäußerte Einsicht: „Ich habe eine andere Auffassung vom Fußball.“ Das ist beruhigend, denn wenn Magaths Auffassung vom Fußball jene wäre, die Werder in den letzten Wochen präsentierte, müßte man ernstlich besorgt sein um den gestrengen Fußballtheoretiker, der nebenher so gern Schach spielt. Vermutlich, weil die Akteure statt Herzog, Ailton oder Maximow solch bescheidene Namen wie Turm, Läufer oder Bauer tragen und immer tun, was man von ihnen verlangt. Einfach das Brett umschmeißen gehört sich allerdings auch beim Schachspiel nicht.

Matti Lieske