Stasi-Blues aus der Magdalenenstraße

■  Die Sprache der Diktatur als Lebensthema: Der Schriftsteller und Bürgerrechtler Jürgen Fuchs starb im Alter von 48 Jahren an Krebs. Als Dissident und radikaler Oppositioneller blieb er in Ost und West ebenso wie im vereinigten Deutschland ein unversöhnter Außenseiter

„Welcher politische Häftling vergißt schon Ton und Wörter dieser Wochen, Monate und Jahre?“ Jürgen Fuchs' Frage ist rhetorisch. Er vergaß den Ton der Repression nie, nicht den Moment, als er nackt vor seinen Verhörern in Berlin-Hohenschönhausen stand, als noch in der Gefängniszelle ein Spitzel auf ihn angesetzt wurde und er Begriffe wie „operative Zersetzung“ und „Einfluß auf feindlich-negative Elemente“ sehr direkt zu spüren bekam. Sein letzter, 1998 erschienener Roman erhielt den Untertitel „MfS Memfisblues Stasi Die Firma VEB Horch & Gauck“: eine Lebensmelodie, Pfeifen im Walde.

„Magdalena“, so der Titel dieses 510seitigen Opus magnum, beschwört keine Frau, sondern die Adresse der Stasi in Berlin. „Magdalena“ ist keine Liebesgeschichte, sondern Dokument einer Abhängigkeit: überbordende Sprachanalyse und hoffnungsloser Versuch, die hinterlassenen Aktenberge des SED-Staates literarisch zu „bewältigen“. In Wirklichkeit aber überwältigte die Stasi ihn, hielt ihn im Griff, zehn Jahre über den Untergang der DDR hinaus.

Immer einsamer wurde Jürgen Fuchs in diesen Jahren. In der Phase der erregten, medienwirksamen IM-Entlarvungen wurde er noch gebraucht als Zeuge und unversöhnlicher Ankläger. Doch in dem Maße, in dem die DDR zum Vergangenheitsmaterial eines eher geschichtslosen neuen Deutschlands sedimentierte, wurde sein trotziges Beharren auf der vordringlichen Gegenwärtigkeit des Stasi-Themas mehr und mehr als enervierende Störung empfunden. 1998 stellte er seine Tätigkeit für die Gauck-Behörde aus Protest gegen die Beschäftigung ehemaliger Stasi-Leute ein. Gregor Gysi, den er als IM bekämpfte, sprach er das Recht ab, den demokratischen Sozialismus für die PDS zu reklamieren. Vergeblich wehrte er sich dagegen, mit der Bezeichnung „ehemaliger Bürgerrechtler“ zu einer Figur der Vergangenheit erklärt zu werden. So ist seine Biographie die sehr deutsche, sehr tragische Geschichte eines radikalen Oppositionellen, der im Westen sowenig heimisch war wie im Osten, der sich als Linker empfand und doch links liegengelassen wurde.

Geboren wurde Fuchs am 19. Dezember 1950 im vogtländischen Reichenbach. Nach dem Abitur 1969 und dem Facharbeiterabschluß bei der Reichsbahn studierte er in Jena Sozialpsychologie. 1971 begann er zu schreiben, 1973 trat er in die SED ein, um „Veränderungen herbeizuführen und den Apparat von innen zu beschreiben“. Seine „Gedächtnisprotokolle“ über den DDR-Alltag konnte er, der mit Robert Havemann befreundet war, nicht veröffentlichen. 1975 wurde er vom Studium ausgeschlossen, weil er für die SED ein „Konterrevolutionär“ und „Staatsfeind“ war.

Riesige Mengen an Stasiakten bekunden heute, welche enorme Aufmerksamkeit die Partei diesem Gegner widmete. 1976, nach seinen Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, wurde er verhaftet und 1977 nach West-Berlin abgeschoben, wo er seither mit Frau und drei Kindern lebte. Als Autor machte Fuchs sich vor allem mit dem Prosaband „Fassonschnitt“ (1984) über seinen Militärdienst und mit dem Bericht „Das Ende einer Feigheit“ (1988) über eine Reservistenübung einen Namen. In allen seinen Werken ging es um die Auseinandersetzung mit der Macht und die subjektzerstörende Sprache der Bürokratie. Victor Klemperers Studie über die Sprache der NS-Zeit, „LTI“, gehört zu den Büchern, die Fuchs nachhaltig beeinflußten.

Alles hing für ihn immer mit dem einen zusammen. Auch seine Blutkrebserkrankung, an der er am Sonntag abend nach langem Leiden im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus gestorben ist. Fuchs sprach durchaus öffentlich über seine Erkrankung. 1996 berichtete er davon in der taz, als er sich gegen die hier veröffentlichte Satire „Der Barbier von Bebra“ wehrte, in der er und andere Bürgerrechtler „barbiert“ und ermordet wurden. Fuchs fand diesen hämischen Humor auf seine Kosten nicht besonders lustig, obwohl er durchaus in der Lage war, über sich selbst in hoffnungsloser Situation zu lachen. Er schrieb: „Ich lernte Kasernenhof, Knast, Stasimaßnahmen im Westen und letztes Jahr auch die Krebsstation des Virchow-Krankenhauses kennen. Alle Haare verlor ich für einige Monate, der Barbier mußte gar nicht kommen. Paar Gramm eines Chemotherapeutikums wirkten Wunder. Die Patienten und Patientinnen im Aufenthaltsraum rissen mitunter laute, kahlköpfige Witze. Schonungslos und befreiend war dieser Humor.“

Freunde aus DDR-Zeiten zeigten sich gestern schockiert über Fuchs' Tod. „Wir sind völlig platt“, hieß es im Berliner „Bürgerbüro“, das Fuchs 1996 zusammen mit Bärbel Bohley gegründet hatte, um denjenigen zu helfen, die „durch Willkürakte der DDR fortdauernd geschädigt sind“. Bohley gehörte – neben Wolf Biermann – auch zu den letzten Besuchern im Krankenhaus. Jörg Magenau