„Alte und Behinderte wurden getötet“

■  Kosovo-Albaner aus den Flüchtlingscamps berichten von der Vertreibung aus ihren Dörfern, von Verwundeten und Toten, von Demütigungen und Beleidigungen, vom Regen, Hunger und der Kälte und von ihrer tagelangen Flucht

Ein 15jähriges Mädchen aus Rezald schildert:

Am 12. April wurde das Dorf von der Polizei umstellt. Wir waren zu Hause. Überall waren Soldaten, bis zum Wald hin. Eine Handgranate wurde auf unser Haus geworfen und landete direkt vor mir. Meine Hand wurde verwundet, und ich verlor viel Blut. Es gelang uns, am Fluß entlang zu fliehen, durch den Wald und dann an der Straße entlang. An der Straße standen alle zehn Meter Soldaten. Als wir die Grenze überquert hatten, wurde ich zum italienischen Lager gebracht. Meine Papiere wurden an der Grenze eingezogen.“

Eine Frau aus einem Dorf in der Nähe von Klina:

„Am 25. März, gegen 14 Uhr, kamen die Serben und warfen uns aus unserem Dorf. Sieben Polizisten kamen in den Garten, umstellten das Haus und befahlen uns, sofort zu gehen. Mein Ehemann befand sich etwas weiter weg vom Haus und konnte fliehen. Seit der Zeit habe ich nichts mehr von ihm gehört. Die Polizei stellte sieben Familien aus unserem Dorf (etwa 70 Menschen) in einer Gruppe zusammen. Wir mußten uns auf die Erde legen, und es wurde mehrfach gefeuert. Fünf Menschen wurden getroffen, unter anderem drei meiner eigenen Kinder. Die Serben befahlen uns, 24 Stunden auf dem Boden liegenzubleiben, und ließen uns dann aufstehen und gehen. An der Grenze nahmen sie uns unsere Ausweise weg.“

Eine 35jährige Frau aus Padalista:

„Seit einem Jahr konnten wir nun schon nicht mehr richtig schlafen. Wir hatten Angst, daß sie kommen und uns umbringen würden. Am Montag morgen, dem 12. April, griffen die Serben unser Dorf mit Granaten an. Gemeinsam mit etwa tausend anderen Menschen aus Kladernica mußten wir fliehen. Später erfuhr ich, daß die Hälfte der Männer fliehen konnte. Es gibt auch Gerüchte, wonach die Männer nach Serbien gebracht worden seien. Am Mittwoch erreichten wir Prizren und sahen auf der Straße viele Verwundete und Tote, in Fetzen gerissene Körper. Die Leute am Anfang des Konvois riefen uns zu, nicht weiterzugehen, da vorne Granaten auf uns geworfen würden. Und tatsächlich befanden sich diejenigen, die verletzt oder getötet worden waren, nur knapp einen Kilometer vor uns. Zehn Minuten nach dem Feuer kam die Polizei, um die Verwundeten wegzubringen. Ich hörte, daß fünfzehn Menschen getötet und etwa dieselbe Zahl verwundet worden war. Überall war Blut, enthauptete Menschen, Körper; manche sogar ohne Arme und Füße. Die Verletzten schrien vor Schmerzen, als sie weggebracht wurden. Es war grauenhaft. Ein Dutzend serbischer Polizisten sammelte sie ein. Sie sagten uns lediglich, daß sie sie zunächst ins Krankenhaus von Prizren und, wenn sich ihr Zustand gebessert habe, zur Grenze bringen würden. Wir sollten nach Albanien gehen. Auf der Straße von Prizren waren wieder Soldaten. Sie streckten drei Finger in die Höhe, um uns zu beleidigen, und forderten uns auf, das gleiche zu tun und ,Serbien, Serbien!‘ zu rufen. Wir senkten unsere Köpfe. Nur einer von ihnen war vermummt. Wir wollten kurz anhalten, um uns auszuruhen, aber sie schossen in die Luft und zwangen uns damit zum Weitergehen. Ich sah, wie zwei sieben bis acht Monate alte Babys in einem unbeobachteten Moment in aller Eile von ihren Eltern beerdigt wurden. Noch nicht einmal ein Jahr alt, gestorben an Erschöpfung und Austrocknung. Es regnete die ganze Nacht. Verlassene Fahrzeuge lagen überall auf der Straße. Als wir in Prizren ankamen, wurden wir zur Grenze gebracht (...).“

Ein 38jähriger Mann aus Velika Krusa:

Um sieben Uhr morgens begannen Polizisten, unser Haus zu beschießen. Sie waren maskiert. Zwei gepanzerte Fahrzeuge standen in der Nähe unserer Häuser. Sieben Polizisten kamen ins Haus. Im Haus waren wir zu 13. Sie haben mich geschlagen. Meine 65jährige Mutter und weitere fünf Mitglieder meiner Familie ,von sieben bis 53 Jahren, haben sie mit einer automatischen Waffe getötet. Meine Kinder haben geschrien und geweint. Alle haben versucht, aus dem Haus zu entkommen. Die Kinder sind durch die Fenster geflohen. Bevor meine Frau die Zeit hatte, herauszukommen, schlug eine Granate ein. Sie wurde verletzt, ebenso meine Schwester und Schwägerin. Es gelang uns, auf dem Traktor aus dem Dorf zu fliehen bis nach Zur, von wo aus wir zu Fuß weiterflüchten mußten. Bis zur Grenze haben wir zwei Stunden gebraucht. (...) Soldaten haben mir auf die Beine geschlagen. Ich fiel neben einen Traktor und konnte mich, halb darunter liegend, gerade noch in Sicherheit bringen. Doch sie haben mir weiter auf die Beine und die Genitalien geschlagen, bis sie müde wurden. Das hat vielleicht eine Stunde gedauert. Dann sind sie gegangen und haben sich andere, die hinter uns in der Kolonne waren, vorgenommen. Ich konnte mich zu Fuß bis zur Grenze schleppen.

Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, wo ich operiert wurde. Seit fünf Tagen kann ich mein Bein nicht mehr bewegen. Die Ärzte warten ab, bis das Ödem am Knöchel verschwunden ist, damit sie einen Gipsverband anlegen können.“

Ein 14jähriges Mädchen aus Salagradj:

„Unser Dorf wurde von Polizisten und Paramilitärs umzingelt. Sie fingen an, Granaten zu werfen. Mein Vater und mein Onkel sind sofort geflohen. Wir wissen nicht, wo sie sind. Die Polizisten wiesen uns an, fortzugehen. Wir hatten nur noch Zeit, ein paar Sachen zusammenzusuchen und sie auf dem Traktor zu verstauen, aber später haben die Serben sie uns weggenommen. Drei Tage und Nächte haben wir in der Kolonne auf der Straße verbracht. Es gab viele Paramilitärs, Militärs und Polizisten auf der Strecke, alle waren maskiert. Der Konvoi kam sehr langsam voran: Alle 50 Meter hielten die Serben uns an und forderten Geld, den Schmuck der Frauen, oder sie fragten uns, wohin wir wollten. Sie demütigten und beleidigten uns.“

Eine 21 Jahre alte Frau aus Padalista:

„Am 27. März vormittags haben die Polizei, Paramilitärs und die jugoslawische Armee unser Dorf mit Jeeps, Lastwagen und Panzern überfallen. Es waren ungefähr 300 Leute, von denen einige maskiert waren. Eine Stunde lang gab es Dauerbeschuß, was uns gehindert hat, das Haus zu verlassen. Dann hat einer ein Fenster eingeschlagen und ist ins Haus gekommen. Es war der Sohn meines Nachbarn. Er trug einen schwarzen Schal auf dem Kopf. Er kam herein und sagte: ,Wir sind jetzt keine Nachbarn mehr.‘ Die Polizei befahl uns, das Haus zu verlassen. Drei Mitglieder meiner Familie gingen hinaus. Kaum waren sie draußen, wurden sie von der jugoslawischen Armee beschossen. Dem Rest der Familie gelang es zu fliehen. Wir haben uns in der Umgebung versteckt. Während wir uns versteckt hielten, wurde ich Zeuge mehrerer ähnlicher Morde, einschließlich des Mordes an einem zweijährigen Kind.“

Eine 44jährige Frau aus Istok:

Am Samstag, 27. März, ist die Polizei bei uns erschienen und hat uns befohlen, unser Zuhause zu verlassen: ,Wenn ihr nicht erschossen werden wollt, dann müßt ihr gehen.‘ Ich bin ins Stadtzentrum gegangen. (...)Dann bin ich im Regen in die Berge geflüchtet. Ich bin ungefähr zehn Stunden gegangen, bei mir waren Kinder – das jüngste war einen Monat alt – und Behinderte. Drei Tage haben wir in den Bergen verbracht und hatten nichts: weder Nahrung noch Kleidung zum Wechseln, noch Geld. Dann sind wir in die Stadt zurück. Die Polizei erwartete uns. Wir, ungefähr 5.000 Menschen, wurden an der Bushaltestelle zusammengeführt. Wir wurden geschlagen und bedroht. Alte und Behinderte wurden getötet.“

Eine Frau aus Pritina:

„Wir wurden gezwungen, Pritina am 29. März zu verlassen. Maskierte Männer sind in unser Haus eingedrungen und haben uns gezwungen, fortzugehen. Wir mußten in Kolonnen zum Bahnhof laufen. Auf dem Weg dorthin hat mich ein Polizist angehalten und mich mit der Waffe in der Hand gezwungen, ihm Geld zu geben. Auf dem ganzen Weg wurden wir von Polizisten und Militärs in serbischer Uniform beleidigt und bedroht. Einige von ihnen sprachen Russisch. Als wir am Bahnhof ankamen, mußten wir in einen Zug steigen. In der Warteschlange durchsuchten uns die Serben nach Ausweispapieren und nach Geld. Wenn sie Ausweise fanden, zerrissen sie sie. Wir haben es geschafft, unsere Sachen zu verstecken. Die Fahrt dauerte zwei Stunden. Eineinhalb Stunden mußten wir an der Grenze warten. Danach mußten wir auf den Schienen gehen, weil man uns sagte, daß die Straßenränder vermint wären. Von makedonischer Seite gab es keinerlei Schutz. Dann kamen wir in Blace in Makedonien, einem toten Ort, an, ohne Wasser, ohne Nahrung, im Regen. Dort haben wir fünf Tage gewartet.“

Ein 90 Jahre alter Mann aus Blac Dragas:

„Ich bin verjagt worden aus meinem Dorf, das die Serben am 31. März in Brand gesetzt haben, nachdem sie all unser Geld genommen und das Vieh getötet hatten. Ich konnte mit meiner Familie im Traktor fliehen und habe mich zu Freunden ins Dorf Bresan geflüchtet; dort bin ich zwölf Tage geblieben, während der Rest meiner Familie nach Albanien ging. Am 13. April sind motorisierte Militärs gekommen, die mich und sechs andere ältere Personen holten, die allein in Bresan geblieben waren, weil sie nicht mehr weiter konnten. Sie haben uns an die Grenze transportiert. Unterwegs habe ich viel Militär gesehen. Zwischen Zur und der Grenze legten Soldaten Minen.“

Eine 35jährige Frau aus Batusa:

„Am 13. April kamen sie in unsere Häuser in Batusa und steckten sie alle in Brand, nachdem sie all unser Geld genommen hatten. Sie waren nicht maskiert, aber es waren viele. Mein Sohn wurde auf ein Feld gebracht, nicht weit vom Haus. Dort wurde er verprügelt und gezwungen, ihnen sein Geld zu geben. Anschließend ließen sie ihn allein, und wir konnten zusammen fliehen. Einige Kilometer vor Prizren flog ein Flugzeug über uns. Es flog sehr tief und schnell und konnte uns deutlich sehen. Zwei oder drei Stunden lang war kein Soldat mehr bei uns. Das Flugzeug warf Bomben auf beide Seiten der Straße. Jeder versuchte sich auf den Boden zu werfen, um sich selbst zu schützen. Keiner wurde verletzt, und so kam das Flugzeug wieder zurück und bombardierte die Mitte unseres Konvois. Zwei Fahrzeuge vor uns wurden getroffen. Alle in diesen beiden Traktoren wurden getötet, etwa zehn Leute. Wir waren in dem dritten Traktor. Mein Bruder, der fuhr, verlor seinen Arm. Viele Menschen wurden verletzt. Zehn Minuten nach der Bombardierung kam die Polizei mit einem Lkw, um die Verletzten und die Toten abzutransportieren. Mein Mann half, die Leichen in den Lkw zu tragen. Er zählte 18 Leichen. Die Polizisten sagten, sie würden die Verletzten in das Krankenhaus von Prizren bringen. Unsere Ausweispapiere wurden uns an der Grenze weggenommen.“