Chronik des Terrors

■ Tag für Tag, Dorf für Dorf schilderten aus dem Kosovo Vertriebene gegenüber Beobachtern der OSZE, was ihnen widerfahren ist

Die nachfolgenden Punkte werden von den Flüchtlingen vielfach wiederholt:

1. Männern werden von ihren Frauen getrennt, wobei die Männer entweder mit unbekanntem Schicksal fortgeschafft oder getötet werden.

2. Es gibt Fälle der Ermordung ganzer Familien.

3. Leichen von Zivilisten liegen an Landstraßen, in Straßengräben und auf städtischen Straßen.

4. Flüchtlinge, die auf Verlangen kein Geld vorweisen können oder die bei ihrem Exodus zu langsam sind, werden willkürlich getötet.

5.Dörfer werden systematisch und mit Gewalt geräumt und sodann geplündert und niedergebrannt.

6. Kosovo-Albaner werden aus städtischen Gebieten mit Zügen, Lastwagen und Bussen zur Grenze getrieben.

7. Ausweispapiere, Geld, Autos und Wertgegenstände werden von serbischen/jugoslawischen Streitkräften an der Grenze gewaltsam geraubt.

8. Serbische Zivilisten greifen in städtischen Gebieten zu den Waffen.

9. OSZE-Angestellte geraten in das Visier der Polizei.

10. OSZE-Einrichtungen werden zerstört.

11. Wohnungen von Mitarbeitern internationaler Organisationen werden geplündert und zerstört.

12. Alle interviewten Flüchtlinge verleihen ihrem Wunsch Ausdruck, in das Kosovo zurückkehren zu können. Sehr wenige nannten den Wunsch, Asyl beantragen oder in das westliche Ausland emigrieren zu wollen.

Die Methoden der Vertreibungen

Die Mehrheit der Flüchtlinge, die in Albanien eintreffen, stammen aus dem westlichen Kosovo und insbesondere aus Suva Reka, Prizren, Pec, Djakovica, Mitrovica und den umliegenden Dörfern. [...]

Flüchtlinge aus Pec, Prizren und Djakovica erzählen, wie sie gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, ohne daß ihnen die Zeit gegeben wurde, ihre Habe zusammenzupacken, und daß sie dann auf Busse verladen wurden oder zur albanischen Grenze laufen mußten. Wer in Autos unterwegs war, wurde manchmal gezwungen, vor der albanischen Grenze die Fahrzeuge zurückzulassen.

In den städtischen Gebieten beschreiben Flüchtlinge die systematische Abriegelung von Stadtteilen, die sodann von Menschen geräumt, geplündert und in Brand gesteckt wurden. Dasselbe Muster wurde in den umliegenden Dörfern verfolgt. Dorfbewohner wurden gezwungen, schnell und ohne ihre Habe aufzubrechen. Das Dorf wurde dann geplündert und niedergebrannt, während die Dorfbewohner zur nächsten Siedlung getrieben wurden.

Berichte über Hinrichtungen und Ermordungen

Celina, 23. März

Ungefähr 200 Paramilitärs und Armeeangehörige kamen mit Panzern und Lastwagen in das Dorf. Panzer wurden zur Zerstörung von Häusern benutzt, 90 Prozent von Celina wurde zerstört. Dorfbewohner versteckten sich in den Kellern. Serben gossen Benzin in die Keller und töteten Frauen, Kinder und Männer, die sich dort versteckten. Menschen, die versuchten zu fliehen, wurden erschossen.

Djakovica, ohne Datum

Zwischen dem 20. und dem 24. März wurden 10 bis 15 junge männliche Kosovo-Albaner erschossen vorihren Häusern aufgefunden. Der Onkel des Flüchtlings wurde vor den Augen seiner Familie erschossen. Paramilitärische Kräfte (MUP) teilten denjenigen, die sich in Djakovica befanden, mit, daß sie anfangen würden, die Kosovaren zu töten, sobald die Nato-Luftangriffe begännen. Nachdem die Bombardements begonnen hatten, versteckte sich der Flüchtling zusammen mit 45 anderen Menschen mehr als eine Woche lang in einem Kellergeschoß. Jeden Tag ging er kurz hinaus, um Essen und Wasser mitzubringen. Dabei sah der Flüchtling Bulldozer mit Leichen, die mit Decken verhüllt waren. Arme und Beine hingen heraus, und Blut tropfte von dem Bulldozer herunter. Die MUP brachten den Bulldozer zum Friedhof und kippten den Inhalt in eine große Grube. Der Flüchtling gab an, daß die Toten in den Bulldozern „Intellektuelle“ aus Djakovica, hauptsächlich Männer, gewesen seien. Der Flüchtling glaubte, daß bis zu 70 von ihnen von den serbischen Streitkräften in einer Tulbe (einem muslimischen Ort zum Gebet) massakriert worden seien.

Als die Flüchtlinge zu fliehen versuchten, befahlen die MUP ihnen zu bleiben, weil „sie nichts Falsches getan hätten“. An Kontrollpunkten der Polizei wurden ihnen alle Dokumente, ihr Geld und ihre Wertgegenstände abgenommen. An einem Kontrollpunkt wurden die Wertgegenstände auf einen Haufen geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet.

Djakovica. 3. April

Die Polizei forderte alle Stadtbewohner auf, die Stadt zu verlassen. Der Flüchtling begrub zehn Männer, die von der serbischen Polizei exekutiert wurden, weil sie verdächtigt wurden, UÇK-Sympathisanten zu sein. Bevor sie nach Albanien kamen, wurde der Flüchtling gezwungen, der serbischen Polizei sein gesamtes Geld und sein Auto zu geben.

Suva Reka, 27. März

Zwei Militärlastwagen fuhren vor der Schule in Suva Reka vor. Ein Lastwagen hatte 50 bis 60 Tote, der andere Lastwagen 50 bis 60 Männer geladen. Die Körper wurden abgeladen und mit Reifen zugedeckt. Der Haufen wurde dann zusammen in Brand gesetzt, die noch lebenden Männer wurden ins Feuer gestoßen. Der Flüchtling sah auch vier MUP, die das OSZE-Büro in Suva Reka verließen, bevor dieses in Flammen aufging.

Suva Reka, 28. März

Serben begannen, Suva Reka und umliegende Dörfer unter Beschuß zu nehmen. Flüchtlinge waren Zeugen, wie zwei Menschen durch die von „Arkan“ befehligtenParamilitärs in dem Dorf Vlashe mit Messern getötet wurden. Sie stahlen ihre gesamten Besitztümer, Geld und Ausweispapiere, bevor sie flohen. Flüchtlinge sagten, daß Serben in Mushtis 20 Menschen töteten; 30 Menschen in Trnje; 20 Menschen in Lesha; 11 Menschen in Supi und eine Familie, bestehend aus 12 Familienmitgliedern, in Vranes. Die meisten Opfer wurden erschossen.

Suva Reka, 1. bis 3. April

Serbische Militärkräfte zwangen Dorfbewohner aus ihren Häusern, indem sie sie mit Gewehren bedrohten und begannen, die Gebäude in Brand zu stecken. Die serbische Polizei fragte, wo die früheren OSZE-Mitarbeiter seien. Die Flüchtlinge beobachteten, wie das OSZE-Büro in Suva Reka von der serbischen Polizei in Brand gesetzt wurde. Die Familie, die hinter dem OSZE-Büro wohnte, wurde getötet. Die Polizei überfuhr ein Kind mit einem Militärfahrzeug und schnitt mindestens einem Kind die Ohren ab.

Suva Reka, ohne Datum

Ein Flüchtling sah Lastwagen voller toter Körper, die mit Plastikplanen bedeckt waren und sodann mit alten Reifen und Benzin bedeckt wurden. Die Lastwagen wurden ausgekippt und ihr Inhalt in Brand gesetzt. Ein anderer Flüchtling berichtet, mehrere hundert Körper auf den Straßen von Suva Reka gesehen zu haben und Zeuge der Hinrichtung von acht seiner Nachbarn gewesen zu sein.

Nishor bei Suva Reka, 1. April

Das Dorf wurde unter Beschuß genommen und angegriffen. Serbische Streitkräfte kamen in das Dorf und trieben alle Einwohner zusammen. Sie gingen in einem Konvoi, bestehend aus allen auffindbaren Fahrzeugen und zu Fuß, nach Belanica, wo sie auf Dorfbewohner aus acht anderen Dörfern trafen. Die Menschen wurden von den serbischen Streitkräften beraubt . Der Sohn des Flüchtlings wurde vom Traktor geholt und erschossen, weil er kein Geld hatte, das er den serbischen Soldaten hätte geben können. Er wurde vor den Augen seiner Familie getötet.

Kralan bei Malisevo, o. D.

Dorfbewohner aus Lapceve, Septen und Klina wurden in Kralan versammelt. Die serbischen Streitkräfte organisierten einen Konvoi aus Traktoren und trennten Männer – etwa 360 – und Frauen. Die Männer wurden gezwungen, sich zu entkleiden, und fortgebracht. Frauen und Kinder wurden nach Albanien geschickt. Zwei alte Frauen waren nicht in der Lage, auf einen Traktor zu steigen, und wurden von den Serben erschossen. Sie luden deren Leichen auf den Traktor und setzten diesen in Brand.

Pec, 27. März

Serbische Streitkräfte kamen und forderten die Zivilisten auf, das Gebiet zu verlassen. Der Flüchtling glaubt, daß bis zu 30.000 Bewohner aus Pec vertrieben und mehrere Tage lang zusammen festgehalten wurden. Sie wurden von Militärkräften umringt. Der Flüchtling wurde zusammen mit 500 anderen Männern von diesen getrennt und als „menschliches Schutzschild“ zum Schutz von Panzern benutzt. Mehrere Tage später wurden die meisten Männer freigelassen, 80 wurden jedoch weiterhin festgehalten. Der Flüchtling hörte, wie Gewehrschüsse auf die 80 Männer abgegeben wurden, als er floh. Das Massaker ereignete sich in der Gegend von Klina.

Dragobil, o. D.

Ein Flüchtling wurde gezwungen, zusammen mit anderen Dorfbewohnern das Dorf zu verlassen. Er beobachtete, wie ein 16 Jahre alter Junge von der serbischen Polizei erstochen wurde und wie ein anderer serbischer Polizist mehrere hundert Mark verlangte, um die Vergewaltigung einer jungen Frau zu verhindern. Der Flüchtling wurde gezwungen alle seine Kleider abzulegen und 1.000 Mark zu bezahlen, ansonsten würde er erschossen. Andere Flüchtlinge zahlten, um ihren Tod zu verhindern.

Rogovo, 25. März

Die Serben begannen, Rogovo unter Beschuß zu nehmen. Nach fünf Tagen kehrten die Flüchtlinge nach Rogovo zurück. Armee, Polizei und Paramilitärs (graue Uniformen, rote und weiße Streifen auf den Schultern) begannen erneut mit Angriffen. Den Flüchtlingen wurde gesagt, sie müßten sofort die Stadt verlassen. Ihnen wurde nicht gestattet, das Zentrum von Prizren zu durchqueren, ein Flüchtling sah keinerlei Menschen in Prizren, nur, daß viele Gebäude zerstört waren. Serbische Militärs drohten, einer Familie ihr Kind wegzunehmen, wenn diese ihnen nicht 1.000 Mark gäbe. 50 Menschen versuchten, einen Fluß zu überqueren, Soldaten eröffneten das Feuer auf die Flüchtlinge. Er glaubt, daß bis auf zwei alle Flüchtlinge getötet wurden.

Pec, 25. März

Panzer fuhren in die Innenstadt und beschossen die albanischen Stadtteile. Während der folgenden zwei Tage wurden albanische Geschäfte von serbischen Zivilisten, Polizei und Männern, die militärische Uniformen trugen, geplündert.