Fast wie Bebop

■ Steve Earle findet mit The Del McCoury Band Orientierung im Bluegrass

Er scheint doch nicht ganz da hinzugehören, der Mann mit dem massigen, fast haltlosen Kopf und dem speckigen Seitenscheitel. Was nicht allein daran liegen kann, daß er als einzige Figur des proper gekleideten Sextetts ein schwarzes Hemd trägt. Das paßt zu seiner Rolle: Halb Pate der düsteren Viertel von Nashville, halb verlorener Sohn des Country-Geschäfts – so thront Steve Earle auf der CD-Rückseite seines aktuellen Albums The Mountain über seinen neuen Begleitern.

Sie betreiben ihr musikalisches Geschäft genreüblich als Familienangelegenheit: Patriarch Del McCoury hat mit Rob und Ronnie gleich zwei Söhne in der heißesten, aktiven Bluegrass-Band, derweil Mama Jane das Management besorgt. Daß Earle irgendwann mal bei der Musik landen würde, die einst Kohlemalocher und Schnapsbrenner aus den Bergen von Kentucky den harten Alltag und so manchen Schicksalsschlag ertragen ließ, kann nicht überraschen. Schon als junger rebel with a cause stand der Texaner der Picker-Gemeinde in Nashville prinzipiell näher als den Handlangern einer Musikindustrie, der Tradition nur dann in den Kram paßt, wenn sie viele Dollars verspricht.

Auch über dem ganzen New Country-Hype der 90er ist Blue-grass so etwas wie die letzte Bastion unkorrumpierten Ausdrucks geblieben, den Platin-Erfolgen einer Alison Krauss zum Trotz, die – hübsche Ironie – ja auch nicht in Nashville abgeschöpft wurden. Nicht zuletzt winkte Earle hier noch einmal eine musikalische Herausforderung. Vordergründig scheint es beiBlue-grass nur um Tempo und Saitenakrobatik auf Mandoline, Banjo und Fiddle zu gehen. Wer genauer hinhört, entdeckt subtilste Timing- und Rhythmus-Kniffe, die Earle zum Prädikat „fast wie im Bebop“ verleiteten. Zudem bot Bluegrass einen festen, stilistischen Rahmen, an dem sich der zuletzt ein wenig orientierungslose Songwriter abarbeiten konnte. Was Earle mit Bravour tut. Seine Bluegrass-Version bleibt bei aller Historie und allen Bürgerkriegs-, Great Depression-, und Jugend-Reminiszenzen eine mit Vision.

Das (selbstsüchtige) Motiv dafür, so Earle, sei kein Geringeres als „Unsterblichkeit“ gewesen. Ein Song müßte doch dabei sein, der auch nach dem Ableben auf jedem verdammtem Bluegrass-Festival wenigstens von einer Band gespielt werden wird? Nun, wir kannten schon vor The Mountain ein paar Earle-Songs, die posthum immer wieder zu neuen Ehren kommen werden. Bluegrass-Skeptiker, die nicht auf Bekehrung hoffen, sollten allein deshalb den Weg in die große Freiheit wagen, weil hier 6 gestandene Männer in nur 1 (Uralt-) Mikro hineinsingen- und spielen. Und weil Earle sie gewiß nicht ohne den einen oder anderen Prä-Bluegrass-Klassiker wie „Someday“ ziehen lassen wird. Jörg Feyer Do, 13. Mai, 20 Uhr, Große Freiheit