Rufer in der Wüste

Vom Mißtrauen gegenüber den Bildern: eine Werkschau mit Filmen von Wim Wenders im Elbe-Kino  ■ Von Malte Hagener

Im Juni 1982 starb Rainer Werner Fassbinder. Wolfram Schütte würdigte ihn in seinem vielzitierten Nachruf als schlagendes und vibrierendes Herz des Neuen Deutschen Films – zugleich charakterisierte er aber auch die Hinterbliebenen in ihren unterschiedlichen Naturellen. Wim Wenders bedachte Schütte mit dem Etikett der „phänomenologischen Wahrnehmungskraft“.

Heutzutage behaupten böse Zungen, er wäre bestenfalls noch ein untoter Wiedergänger. Und doch zeigt ein kurzer Blick auf Schüttes Aufzählung, daß Wenders der einzige ist, der noch nicht in seiner eignen Bedeutungslosigkeit versunken ist: Alexander Kluge haust als ungeliebter Untermieter der privaten Anbieter mit ständig wechselnden Sendeplätzen in seinem selbstgezimmerten Quotenghetto, Volker Schlön-dorff dreht Filme, die als Erotikthriller annonciert sind und wie Eissorten klingen (“Ein Palmetto bitte“), Werner Herzogs wahnsinniger Wille wendet sich nur noch völlig esoterischen Themen zu und Werner Schroeter inszeniert, wenn überhaupt, höchstens noch Opern.

Nicht nur auf den Seiten dieser Zeitung gehört es seit längerem zum guten Ton, Wenders-Witze zu machen, er gibt natürlich auch – von der Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät in Fribourg bis zu seinen Danone-Werbespots – eine allzu dankbare Zielscheibe ab, so daß sich selbst die ehrwürdige Zeit eine Überschrift wie „In weiter Hose, so eng“ nicht verkneifen kann. Und dennoch zielen Witze über ihn ins Leere, weil er so genau weiß, was er will, daß süffisante Kritik an ihm abperlt wie Nieselregen am Ostfriesennerz.

Man kann Wenders' Projekte und Themen prinzipiell ablehnen, aber über ihn läßt sich nicht partytauglich sagen, „Ich mag sein Frühwerk“, denn er ist seit den frühen 70er Jahren nicht von seinem Weg gewichen, nur alle anderen haben sich geändert. Wenn man bedenkt, wieviele hoffnungsvolle Weggefährten seit seinen Anfängen vor 30 Jahren zurückgeblieben sind, so muß man schon staunen über so viel kompromißlose Hartnäckigkeit.

Wenders hat genug Möglichkeiten gehabt, in reine Kommerzgefilde abzuwandern oder sich auf Funktionärsposten zurückzuziehen (was natürlich an sich nichts Ehrenrühriges hätte), doch er hat konsequent daran gebaut, was man altmodisch ein Oeuvre, ein Gesamtwerk nennt. Insofern macht eine Werkschau, wie sie nun im Elbe-Kino zu sehen ist, bei Wenders auch Sinn, weil nicht zufällige Stationen einer Karriere bebildert werden, sondern eine Entwicklung des Nachdenkens über immer gleiche Themen.

Ob dabei Wenders qualitative Fortschritte erreicht oder sein Weg zunehmend in den Sumpf der Larmoyanz führt, sei dahingestellt. Doch es ist kein Zufall, daß er der international bekannteste der deutschen Filmemacher ist. Ein Grund liegt natürlich auch darin, daß er perfekt in das ausländische Klischee des „Deutschen“, des guten wohlgemerkt, paßt: grüblerisch, selbstquälend und kulturpessimistisch.

Wenders hat Darsteller für den Film geprägt wie Rüdiger Vogler oder Hanns Zischler, er hat unvergeßliche Bilder geschaffen wie Bruno Ganz' Mord in der Pariser Metro-Station, Harry Dean Stantons entschlossen-zielloses Schreiten in der Wüste oder das Verzweifeln Rüdiger Voglers ob der naseweißen Alice in den Städten New York, Amsterdamm und Wuppertal.

Und doch: Vielleicht hätte er so etwas wie eine Vaterfunktion für die nachrückende Generation einnehmen können, denkt man an seinen Auftritt in einem früheren Dani-Levy-Film oder erinnert man sich daran, wie er letztes Jahr seinen Deutschen Filmpreis kurzerhand Tom Tykwer vermachte. Aber zum Mentor taugt Wenders, dessen Figuren sich immer wieder auf die Suche nach dem Vater begeben oder sich weigern, eine familiäre Verantwortung zu übernehmen, wohl doch nicht.

Und so bleibt der Mann, was er immer schon war: Ein unermüdlicher, kulturpessimistischer Rufer in der Wüste, der das Wesen der Bilder in den Mittelpunkt seiner filmischen Erkundungen stellt und paradoxerweise als Filmemacher eben jenen Bildern mißtraut. Zu Beginn seiner Karriere stand er in seiner abgestoßenen Faszination für die USA jenseits von Adornos und Horkheimers Kulturindustrie-Thesen, heute tönen die apokalyptischen Geschwindigkeitsfanta-sien eines Virilio oder die Simulakra-Fantasmen eines Baudrillard über seine Meditationen hinweg. Wim Wenders hat sich keinen Deut verändert – nur die Welt, die ihn umgibt.

Summer In The City: Fr, 13. Mai, 18 Uhr. Die Angst des Tormanns beim Elfmeter : Sa, 14. Mai, 18 Uhr. Der scharlachrote Buchstabe: Mo, 17. Mai, 18 Uhr. Alice in den Städten: Di, 18., 18 Uhr; Mi, 19. Mai, 18 Uhr. Falsche Bewegung: Mo, 24., 18 Uhr; Di, 25., 18 Uhr. Im Lauf der Zeit: Do, 27., 20 Uhr; Fr, 28. Mai, 20 Uhr. Der amerikanische Freund: Mo, 31. Mai, 18 Uhr; Di, 1. Juni, 18 Uhr