Alles ist in „AURACOR“

■ Wie die drei Künstlerinnen Barbara Thiel, Rosa Steinbrenner und Gabriele Konsor den Alltag sehen und verbessern

Schon mal zur Rechtsberatung in der Bremer Angestelltenkammer gewesen? Nein? Dann folgt jetzt eine Dienstleistung. Auf Rechtsberatung in der Bremer Angestelltenkammer muß man nämlich warten. „Bis zu 20 Minuten, wenn es voll ist“, weiß Anne Schlöpke, die das Ausstellungsprogramm in der Galerie im Künstlerhaus am Deich betreut. Damit das Warten im Wartezimmer der Bremer Angestelltenkammer ein bißchen kurzweiliger wird, gibts jetzt „Tag für Tag“.

Die beiden Bremer Videokünstlerinnen Barbara Thiel und Rosa Steinbrenner haben für „Tag für Tag“ in einem Atelier und einer Wohnung „spioniert“. Eine Künstlerin und eine zur Zeit arbeitslose Bremerin haben sich bereit erklärt, sich durch eine Videokamera über die Schulter schauen zu lassen. Jeweils zweistündige Bänder in Echtzeit sind so entstanden. Auf die Montagsbänder folgen die Dienstagsbänder und so weiter. Sie zeigen, wie die Arbeitslose manchmal Klavierunterricht gibt oder wie die Künstlerin beim Radio-Bremen-2-hören arbeitet. Auf einem dritten Kanal simulieren Thiel oder Steinbrenner live den Angestelltenalltag. Die Besucher des Wartezimmers in der Angestelltenkammer können zwischen den drei Filmen hin- und herschalten und dabei die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei Formen Alltag entdecken. Doch was macht der geneigte Leser, wenn er keine Rechtsberatung in der Angestelltenkammer braucht? Der geht in die Galerie im Künstlerhaus, denn dort wird Kunst als echte Dienstleistung angeboten.

An der hinteren Stirnwand hängt ein riesiges Gebilde. Es sieht bald wie eine Blume, bald wie eine Herz-Nieren-Mischung und bald wie ein Brötchen aus. Es heißt „AURACOR“ und ist das Markenzeichen von Gabriele Konsors gleichnamigem Projekt. Den KünstlerInnen-Alltag hält die mal in Bremen und mal in Berlin lebende Kunst-Dienstleisterin für „ziemlich traurig“. In diesem Alltag folgt auf die einsame Kunstproduktion eine ebenso einsame Kunstpräsentation, die nur durch die Sektschlürferei, das Rezipieren oder das Geschwätz bei der Vernissage unterbrochen wird. Gabriele Konsor wollte dabei nicht länger mitwirken, erfand „AURACOR“ und meldete es sogar beim Patentamt an.

„AURACOR“ ist ein interaktives Unternehmen. Menschen jeden Alters und Alltags können dabei zu KünstlerInnen werden. Es soll sogar schon echte „Auracorianer“ geben, die ihre Wohnung mit „AURACOR“ möblieren. Ein Grundkurs in „AURACOR“ fängt wie das richtige Leben mit der Nachahmung an. Mit Gabriele Konsors Hilfe können die TeilnehmerInnen das „AURACOR“-Motiv malerisch in eine der Richtungen der klassischen Moderne übersetzen. In der zweiten Lektion folgt die Veränderung. In einer dritten – ganz nach der Bauhaus-Tradition – die Adaption des Signets für De-sign. Und wem noch ein geflügeltes Wort für „AURACOR“ einfällt, wird mit einem echten „AURACOR“-T-Shirt belohnt. Nach erfolgreichem Bestehen des Kurses kann man „AURACOR“ mitnehmen. Zum Beispiel in das Wartezimmer der Rechtsberatung in der Bremer Angestelltenkammer. ck

„Akademie AURACOR – Die Kunst, kreativ zu leben“ bis zum 6. Juni im Künstlerhaus am Deich, Am Deich 68, Orientierungstage vom 12. bis 16. Mai (Mi-Fr 16-19, So 13-16 Uhr), Anmeldung für AURACOR-Seminare und weitere Infos unter 50 85 98; „Tag für Tag“ bis zum 28. Mai in der Angestelltenkammer, Bürgerstraße 1; Diskussion „Künstler heute: Dienstleister oder moderner Held“ mit Wulf Herzogenrath (Kunsthalle Bremen) und Stephan Schmidt-Wulffen (Kunstverein Hamburg) am 18. Mai um 19 Uhr in der Kunsthalle