Der Racing Club ist ein Gefühl

Der einstige Lieblingsverein von Evita Perón ist eigentlich bankrott, darf jetzt aber doch wieder in Argentiniens Fußball-Liga mitspielen  ■ Aus
Buenos Aires Ingo Malcher

In Argentinien geht vieles nicht mit rechten Dingen zu. Schon gar nicht im Fußball. Da fallen Dopingproben berühmter Spieler immer negativ aus, dafür überraschen Nobodies mit positiven Ergebnissen; da steigen große Clubs nie ab, auch wenn sie immer verlieren. Und Vereine, die von einem Gericht für bankrott erklärt wurden, spielen auf einmal wieder. Ein sonderbares Sport-Land, dieses Argentinien.

Racing Club, ein Fußballverein in Argentinien, ist bankrott. Folglich mußte Racing Konkurs anmelden. Die zuständige Richterin, Liliana Ripoll, stellte danach fest: „Racing existiert nicht mehr.“ Racing durfte nicht mehr spielen. Die Fans waren verzweifelt, protestierten und wollten ihren Club retten. Soweit alles normal. „Racing muß gerettet werden“, meinte aber auch der argentinische Präsident Carlos Menem, und auf einmal war die Gerichtsentscheidung nicht mehr so gemeint. Racing durfte nach einer Zwangspause und Solidaritätsadressen von allen Seiten auf einmal wieder spielen.

Folgendes ist festzuhalten: Erstens, in Argentinien ist der Fußball heilig. Zweitens, im argentinischen Fußball ist Racing Club ein besonderes Heiligtum. Vielleicht, weil Racing der Lieblingsclub einer weiteren argentinischen Heiligen war: Evita Perón, drittklassige Schauspielerin, Prostituierte und Präsidentengattin [erleichtere dich und schreib doch hochgeschlafen; die korr'in], hatte sich dem Club verschrieben. In einer Zeit, in der es im Land keinen Zement gab, verdonnerte sie ihren Gatten, General Juan Domingo Perón, Racing ein neues Stadion zu bauen. Daher heißt das Stadion im Stadtteil Avellaneda von Buenos Aires auch heute noch Estadio Juan Domingo Perón.

Racing ist heute mehr Schein als Sein. Der letzte Erfolg war 1988 der Gewinn der Supercopa, ein südamerikanisches Turnier, von dem niemand so richtig weiß, wozu es gut ist. Zwischen 1913 und 1917 wurde Racing siebenmal Meister, vor 33 Jahren dann zum letzten Mal. In den achtziger Jahren rutschte Racing in die zweite Liga ab. Weil schon damals das Geld knapp war, wurde das Stadion an einen Lebensmittelgroßhändler vermietet und der Rasen zum Rübenlager. 1988 kam der Wiederaufstieg, allerdings blieb die Kasse leer.

Geduldig machen die Racing-Fans sämtliche Achterbahnfahrten ihres Clubs mit. „Racing es un sentimiento“ – Racing ist ein Gefühl, brüllen sie. Und was für eins. Es treibt sie dazu, für ihren Club zu beten, auf den Knien über den Stadionrasen zu robben und Mahnwachen zu halten. Selbst einen Priester schafften sie herbei, um den Teufel aus dem Stadion zu vertreiben. Der ist jetzt draußen. Aber die Kasse bleibt leer. Was fehlt, ist ein Goldesel. Noch besser: das Goldene Kalb, das man immer melken kann. Denn die Vereinsführung lenkte die Geschicke des Clubs mit so wenig Weitsicht und Sachverstand, daß fest damit zu rechnen ist, daß der Verein nie wieder auf die Beine kommen wird. Die Gläubiger wollen jetzt endlich Bares sehen. Nicht ganz unverständlich. Schließlich steht auf dem Kontoauszug von Racing derzeit ein Minus von 34 Millionen Dollar. Dieser Batzen Geld gehört Leuten, die ihn gerne wiedersehen würden. Insgesamt soll Racing 600 Gläubiger haben, die sich um ihr Geld sorgen.

Einer von ihnen ist der Präsident Daniel Lalin. Ein ehemaliges Mitglied der peronistischen Stadtguerilla Montoneros, der es in seiner postrevolutionären Ära als Unternehmer zu Millionen gebracht hat. Allein er hat über fünf Millionen Dollar in Racing gesteckt. Jetzt weiß er weder ein noch aus. Einerseits will er sein Geld wiedersehen, andererseits soll der Club, dem er vorsteht, nicht den Bach runtergehen. Er will Spieler versteigern und verspricht: „Racing wird nicht verschwinden.“ Die Racing-Anhänger halten schon lange nichts mehr von ihm. Vergangene Woche schaute ein 20köpfiges Kommando „Racing Stones“ am Büro von Lalin vorbei, um die Wand mit Parolen zu verzieren, in denen sein Rücktritt gefordert wird, mit dem tatsächlich jeden Tag gerechnet wird. Inzwischen mußte der Klub trotz der Protektion von ganz oben wieder aussetzen, weil das, was der Verein den Richtern als Garantien anzubieten hatte, vorne und hinten nicht reichte. Das Hin und Her ging weiter. Erst entschied ein Gericht erneut, daß Racing trotz Pleite spielen dürfe, dann wurde dieser Beschluß aufgehoben. „Es ist sehr unbequem, ständig anrufen zu müssen, ob wir nun spielen oder nicht“, beschwerte sich Nationalstürmer Diego Latorre.

Mittlerweile hat sich eine Gruppe gebildet, die sich „Grupo Unidad“ nennt und Racing retten will. Sie besteht hauptsächlich aus ehemaligen Funktionären und Spielern. Diese brachten 1,5 Millionen Dollar zusammen, zwar nur ein Teil der geschätzen 3,5 Millionen Dollar, die nötig wären, um sich über die Saison zu retten, aber genug, um den Richter Enrique Gorostegui so weit zu beruhigen, daß er Racing gestern die Genehmigung für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs erteilte. Sollte diese Entscheidung aufrecht erhalten werden, können sich Diego Latorre und seine Kollegen über einen Mangel an Beschäftigung in den nächsten Wochen nicht beklagen: In 35 Tagen müssen sie noch elf Partien bestreiten.

Selbst einen Priester schafften die Racing-Anhänger herbei, um den Teufel aus dem Stadion zu vertreiben