„Teilabzug“ reicht nicht

■  Belgrad bleibt Einzelheiten über den angeblichen Abzug von Truppen aus dem Kosovo schuldig. Die Nato bombardiert weiter

Die Aussicht auf ein baldiges Ende der Nato-Luftangriffe gegen Restjugoslawien und der Vertreibung der Kosovo-Albaner durch serbische Polizei- und Armeekräfte sind gering. China bekräftigte gestern die Forderung nach einer – von der Nato strikt abgelehnten – Einstellung der Luftangriffe als Vorbedingung für die Diskussion einer Kosovo-Resolution im UNO-Sicherheitsrat.

Der Botschafter Chinas bei der UNO-Abrüstungskonferenz in Genf, Li Changhe, wiederholte gestern die Forderung seiner Regierung nach „überzeugenden Erklärungen und Klarstellungen“ der Nato zur Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad. Zuvor war China in der Nacht zum Dienstag im UNO-Sicherheitsrat mit der Forderung nach einer Verurteilung des Bombardements am Widerspruch der drei Nato-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich gescheitert.

Die Pekinger Regierung besteht nach Aussage ihres Genfer Botschafters weiter darauf, daß vor der Beratung einer Kosovo-Resolution im Sicherheitsrat die Nato-Luftangriffe auf Restjugoslawien „endgültig“ eingestellt werden. Danach sei China bereit, auf der Basis der letzte Woche von den G-8-Staaten vereinbarten Prinzipien über eine Resolution des Sicherheitsrates zu verhandeln.

In Übereinstimmung mit der Propaganda Belgrads machte Botschafter Changhe die Nato auch für die Flucht der Kosovo-Albaner aus ihren Häusern und ins benachbarte Ausland verantwortlich: „Wir erleben jetzt seit 48 Tagen eine andauernde Bombardierung, die zum Tode vieler Zivilisten geführt hat, und auch dazu, daß Hunderttausende von Menschen ihre Häuser verlassen haben.“

Auch der russische Balkanunterhändler Wiktor Tschernomyrdin erklärte in Peking nach Gesprächen mit der chinesischen Regierung, „Haupthindernis“ für eine Verhandlungslösung sei die Fortsetzung der Nato-Luftangriffe. Die Positionen Rußlands und Chinas lägen „sehr eng beieinander“. Bundeskanzler Gerhard Schröder will nach Darstellung von Außenminister Joschka Fischer bei seinem heutigen Besuch in China „dafür werben“, daß die Regierung in Peking die Friedensbemühungen „nicht behindert“.

Die Nato sieht nach Angaben ihres Sprechers Jamie Shea keinen Anlaß für eine Einstellung der Luftangriffe oder auch nur für eine begrenzte Feuerpause. Für den von Belgrad am Montag verkündeten Teilabzug von Armee-und Polizeikräften aus dem Kosovo gebe es „keinerlei Anzeichen“. Auch Belgrad schuf bis gestern keine Klarheit über den genauen Umfang des möglicherweise bereits vollzogenen oder des künftig noch beabsichtigten Teilrückzugs.

Die Erklärung des Oberkommandos der jugoslawischen Armee vom Montag abend gab hierüber keinen Aufschluß. Dort heißt es, nach einer Übereinkunft mit den Vereinten Nationen über die Stationierung einer UN-Mission im Kosovo solle „ein Plan zur Rückführung des Miltärs und der Polizeieinheiten im Kosovo auf das Niveau von Friedenszeiten vor Beginn der Aggression“ verwirklicht werden. Mit diesem letzten Satz ist offensichtlich die Zeit vor Beginn der Nato-Luftangriffe am 24. März gemeint. Wie viele Soldaten und Polizisten damals im Kosovo stationiert waren, hat Belgrad nie offengelegt.

US-Geheimdienst- und Militärkreise beziffern die Zahl laut einem Bericht in der gestrigen Washington Post auf rund 40.000. Nach diesem Bericht könne sich Belgrad einen Teilabzug inzwischen leisten. Die UÇK sei erheblich geschwächt und 90 Prozent der albanischen Zivilisten aus ihren Häusern vertrieben. Die nach einem Teilabzug noch verbleibenden Truppen seien „gut positioniert“, um auch einen eventuellen Bodenkrieg gegen die Nato zu überstehen, schreibt das Blatt.

Zu den regulären Armee- und Polizeieinheiten Belgrads kommen noch die paramilitärsichen Verbände. Diese Verbände, die ähnlich wie im Bosnienkrieg zwar nicht offiziell, aber doch de facto auf Anweisung aus Belgrad agieren, werden in der Erklärung des Oberkommandos der jugoslawischen Armee nicht erwähnt. Andreas Zumach, Genf