Grüne zwischen Himmel und Hölle

■  Die Positionen sind weit gestreut: Auf ihrem morgigen Parteitag in Bielefeld liegen den Delegierten mehr als 100 Anträge zum Krieg im Kosovo vor. Sie reichen vom sofortigen Einstellen der Bombardements bis zur Fortsetzung der bisherigen Politik

Bonn (taz) – Wären die Grünen noch in der Opposition – die 816 Delegierten des morgigen Parteitags in Bielefeld hätten vermutlich wenig Probleme, sich mit breiter Mehrheit auf einen gemeinsamen Antrag zum Krieg gegen Jugoslawien zu einigen. Aber seit sie in Bonn mitregieren, kommt es auf jedes Komma an. Die Mitglieder der Bundesregierung, aber auch viele Abgeordnete messen der Frage zentrale Bedeutung bei, ob die Position der Partei den Koalitionsfrieden gefährdet. Für zahlreiche Delegierte aus Landes- und Kreisverbänden ist dagegen weit wichtiger, welche grundsätzliche Haltung ihre Partei zu den Nato-Angriffen gegen Jugoslawien einnimmt.

„Die Frage, auf die sich der Parteitag zuspitzt, ist die, ob der Luftkrieg beendet wird“, meint der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, von Anfang an ein scharfer Kritiker der Nato-Bombardierungen. Seine Fraktionskollegin Angelika Beer sieht im internen Konfliktpotential eine mögliche Gefährdung der rot-grünen Koalition. Ihrer Ansicht nach wäre es ein klarer Konfrontationskurs gegen die Regierung, „falls die Pazifisten sich mehrheitlich durchsetzen sollten und dort gesagt wird, ohne Wenn und Aber, egal, was Miloevic macht – wir wollen, daß alles aufhört“, sagte sie im ZDF.

Kritik am Nato-Vorgehen äußern inzwischen selbst viele derjenigen, die zu Beginn der Bombardierungen die Luftschläge befürwortet haben: „Die Fragen der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit stellen sich mit jedem weiteren Kriegstag mehr“, meint der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz mit Blick auf die Angriffe gegen Jugoslawien. Dennoch hält er einen einseitigen Stopp der Bombardierungen für falsch. Initiativen zur Beendigung des Krieges beruhen seiner Ansicht nach auf auf doppeltem Druck: dem politischen und dem militärischen.

Auch Gesundheitsministerin Andrea Fischer sagt, sie könne die Nato-Bombardierungen nur noch schwer ertragen: „Aber woher nimmt irgend jemand den Optimismus, wenn wir jetzt aufhören, daß Miloevic dann einlenkt?“ Ihr Kabinettskollege Jürgen Trittin nennt es in der Bild-Zeitung „unverhältnismäßig, daß Nato-Flugzeuge Splitterbomben abwerfen und zivile Ziele bombardieren, zum Beispiel Kraftwerke und Fernsehsender“. Dennoch hat sich der Umweltminister schon mehrfach eindeutig gegen einen bedingungslosen Stopp der Bombenangriffe gegen Jugoslawien ausgesprochen.

Mehr als 100 Anträge sind in der Parteizentrale eingegangen. Heute abend treffen sich die Antragsteller, um zu entscheiden, welche davon sich zu gemeinsamen Papieren zusammenfassen lassen. Die Positionen sind weit gestreut. „Die Nato-Luftangriffe sofort und endgültig beenden!“ fordern die Bundestagsabgeordneten Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Christian Simmert und andere Unterzeichner. Der Landesverband Baden-Württemberg wendet sich ausdrücklich gegen eine solche Forderung: Dies würde von Miloevic „nicht als Zeichen der Stärke der Nato, sondern als Schwäche ausgelegt“. Die Spitzenkandidatin für das Europaparlament, Heide Rühle, hat sich für den Einsatz von Bodentruppen unter einem UN-Mandat ausgesprochen, falls Belgrad die Friedensinitiative der G-8-Staaten ablehne. Dagegen übt der Hamburger Pazifist Uli Cremer scharfe Kritik am Fischer-Friedensplan: Der Plan lenke von der eigenen Verantwortung der Nato für den Krieg ab, seine „Konstrukteure wollen nicht wahrhaben, daß Deutschland in dem Konflikt kriegführende Partei ist und darum als Vermittlerin zur Zeit nicht in Frage kommt.“

Nach Ansicht von Beobachtern werden sich die internen Meinungsverschiedenheiten am Ende auf die Entscheidung zwischen zwei Anträgen zuspitzen: dem des Bundesvorstandes und einem von Christian Ströbele, den auch andere prominente Grüne wie die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn, der Düsseldorfer Fraktionsvorsitzende Roland Appel und der Europaabgeordnete Frieder Otto Wolf unterschrieben haben. Einig sind sich die Verfasser beider Anträge darin, daß die Friedensinitiativen von Joschka Fischer Unterstützung verdienen. Unterschiedlich aber wird die Frage bewertet, ob es richtig war, sich an dem Krieg zu beteiligen und unter welchen Bedingungen die Waffen schweigen sollen.

Im Antrag des Bundesvorstands läßt die Parteispitze, etwas gewunden formuliert, durchblicken, daß es aus ihrer Sicht keine Alternative zu den Bombardierungen gab: „Das Verhalten des Miloevic-Regimes ließ zu dieser Zeit in der politischen Realität eine andere als die getroffene Entscheidung nur um den Preis zu, daß der bereits angelaufenen massenhaften Vertreibung und dem Morden nichts hätte entgegengesetzt werden können.“ Dazu bekräftigte Außenminister Joschka Fischer gestern: „Es darf keine faulen Kompromisse geben.“

Im Ströbele-Antrag wird dagegen bereits der Eintritt in den Krieg für falsch erklärt: „Die UNO und ihr Gewaltmonopol sind schwer beschädigt worden.“ Das Völkerrecht sei als Grundlage der internationalen Politik unabdingbar: „Das Vorgehen der Nato rüttelt an seinen Grundfesten, weil die Luftangriffe ohne UN-Mandat gegen das Gewaltverbot – den entscheidenden Fortschritt in diesem Jahrhundert – verstoßen.“

Beide Anträge stimmen in der Ablehnung eines Bodenkrieges und darin überein, daß die Nato mit den Bombardierungen ihre Ziele nicht erreicht hat. Daraus werden aber unterschiedlich weitreichende Forderungen abgeleitet: „Um die diplomatische Chance zu verstärken, die derzeit vorhanden ist, sollte die Nato einen befristeten Stopp der Bombenangriffe erklären“, heißt es im Antrag des Bundesvorstands. „In der so entstehenden Zeit muß die jugoslawische Seite die Vertreibungen einstellen und mit dem Rückzug ihrer bewaffneten Kräfte beginnen. Die Waffenpause kann verlängert werden, wenn Belgrad dieses vollzieht.“

Dagegen fordern Ströbele und seine Mitstreiter, aus der „militärischen Eskalationsspirale“ auszusteigen: „Nur ein Ende der Bombardierung eröffnet auch neuen politischen Spielraum für Verhandlungen über die Deeskalation der Konfliktes und ein Friedensabkommen.“

Eine Stunde lang war die Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen gestern telefonisch nicht erreichbar – „wegen allgemeiner Überlastung“, wie eine freundliche Stimme vom Band erklärte. Überlastet ist nicht nur die Telefonzentrale der Partei. Die Nervosität der Führungsspitze wächst ebenso wie die Flut der Briefe und E-Mails, in der Mitglieder einen sofortigen Stopp der Nato-Angriffe aus Jugoslawien fordern. Vor einer Woche habe sie noch mit einer klaren Mehrheit für den Antrag des Bundesvorstands auf dem Parteitag gerechnet, sagt eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle. Jetzt, nach der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad, sei „alles offen“. Bettina Gaus

Tagesthema Seite 3